Wenn man das „Strielen“[1] nicht lassen kann

Letzthin überkam mich, da ich mich ordentlich fit fühlte, wieder einmal die Lust, durch Wald und Flur zu streifen. Erstens weil ich noch einige Kräuter für meine Gesundheitstränke benötigte, zweitens, um den Zustand der Wild- und Vogelwelt zu ergründen, welche nach dem Sturm vom 4. April 1987 im Gebiet des Sommersbergs so sehr durcheinandergeraten war.

Also nahm ich mir vor, das gesamte Waldgebiet des Sommersbergs auf der Nordseite zu erforschen. Nachdem ich die Krautwildnis oberhalb des Farnbühls und der Weid durchquert hatte, stiess ich auf einen längs des Hangs führenden Rehwechsel. Diesem konnte ich zwar mühelos folgen, spürte aber nach kurzer Zeit bereits starke Schmerzen auf der linken Körperseite, dies wegen der einseitigen Belastung. Ein Rehwechsel ist eben meistens so schmal, dass man nur mit einem Fuss aufsetzen kann. „Umkehren oder nicht?“ war jetzt die Frage. Da kam mir in den Sinn, dass ich ja schon bald auf den Anfang der Büecheliwaldstrasse stossen werde. Und so war es auch.

Bis dahin hatte ich noch keine Spur von Leben beobachten können. Doch da sass plötzlich eine fette Kröte auf einem morschen Stock, im dichten Jungwuchs jubilierte ein Zaunkönigpaar. Ich wanderte nun der Strasse entlang gegen das Büecheli zu. Die Böschungen dort sind gut überwachsen, keine Spur von Rutschungen, wie manche befürchtet hatten. Nebst verschiedenen Straucharten wachsen an den „Börtli“[2] auch verschiedene Heilkräuter, so etwa Farne, Pestwurz oder Goldrute.

Beim ehemaligen Büechelihaus stellte ich fest, dass nur noch einige Gartenpflanzen – Nachtkerzen und Ziergräser – an das ehemalige Bauernhaus erinnerten. Der ebene Platz ist unterdessen mit Waldpflanzen bedeckt. Auch der laufende Brunnen ist verschwunden, doch der Röhrenstock noch vorhanden, sodass ich mich am laufenden Wasser erfrischen konnte.

Von dort stieg ich nun zum oberen Waldrand hinauf, wo urplötzlich ein Wildtaubenpaar davonstob, während ganz nah, auf einer Wettertanne, ein Eichhörnchen auf mich herabschimpfte. Beim Überqueren eines Grabens entdeckte ich Fussspuren eines Dachses, die an den langen, am Ende spachtelförmigen Krallen zu erkennen sind. Auch Füchse müssen in jener Gegend heimisch sein, wie mir die Fellreste einer schneeweissen Katze verrieten.

Dem Sommersberger Riet entlang ging es nun Richtung „Äusserer Sommersberg“, nachdem ich den Duft der wilden „Nägeli“ (Nelken) noch ausgiebig genossen hatte. Etwas später entdeckte ich eine frische Müllablagerung mit Glas- und Porzellanscherben. Ich fand dort in der Umgebung wunderschöne Johanniskrautblüten, die dank der vielen Sonnenstunden ein tiefrotes Öl versprachen. Ich konnte ausserdem von verschiedenen feinen Beeren naschen.

Auf dem Heimweg fand ich dann auch noch schöne Baldrianwurzeln, die eine wertvolle Essenz ergeben. Beim Weitergehen hörte ich einen Eichelhäher, dessen Gekreische mich immer anheimelt, kenne ich doch diese schönen Vögel schon von klein auf. Der Schmerz war unterdessen vergangen, die „Strielitour“ hatte sich für mich gelohnt.

Ernst Brunner, im Gääserblättli veröffentlicht am 09.09.1988


[1] „strielen“ – herumstreifen, vor allem durch Wald und Feld, ohne eigentliches Ziel

[2] „Börtli“ – ein kleiner Abhang entlang der Strasse, ein kleines Bord