Wer gewinnt das Weihnachts-Casting?

Wer gewinnt das Weihnachts-Casting?

21. Dezember 2023 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Vielerorts wird Jahr für Jahr ein Krippenspiel mit der üblichen «Besetzung» aufgeführt. Maria und Josef bei der Krippe, manchmal sogar mit einem echten Menschlein in dieser, daneben Ochs und Esel und über dem Dach des Stalls der Bethlehem-Stern. Dazwischen werden die traditionellen Weihnachtslieder gesungen, meist mit dem Publikum. Aufgeführt werden solche Szenen meist im Chor einer Kirche. Die evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Oberuzwil-Jonschwil hat diesmal einen anderen Weg gewählt. Genau gesagt waren es die Religions-Lehrkräfte, die sich für eine modernere Erzählung entschieden und teilweise auch bei der Aufführung vom 17. Dezember im Hintergrund mitwirkten.

Eine Idee auf die hiesigen Verhältnisse angepasst

Religionslehrerin Chantal Hafner hatte einmal eine Geschichte über eine Casting-Show für den Stellvertreter Gottes auf Erden gelesen, war davon aber nicht überzeugt worden. Sie machte sich deshalb daran, den Gedanken für eine solche «Schau» weiterzuspinnen, aber an die hiesigen Verhältnisse anzupassen. Als sie schliesslich wusste, wer sich für die drei dafür benötigten Engel zur Verfügung stellte, schrieb sie diesen Jugendlichen die Dialoge quasi auf den Leib. Eine riesige Arbeit, die das Wesentliche von Weihnachten  aufzeigte.

Energiegeladene Atmosphäre

Schon beim Eintritt in die Kirche fielen die schön drapierten Kulissen auf. Links sassen zappelige Mädchen und ein paar wenige Buben in einem Block hintereinander. Sie freuten sich auf ihren Einsatz als Chor. Immer wieder winkte eines ganz begeistert zur Empore hinauf, in die hinteren Reihen, einfach dorthin, wo sie gerade ihre Eltern, Grosseltern oder andere Bekannte entdeckt hatten. So unverstellt können Kinder ihre Freude zeigen.

Chorlieder als Brücke zu den einzelnen Szenen

Kinderliederschöpfer Andrew Bond muss kaum mehr vorgestellt werden. Aus dessen reichem Schatz an kindgerechten Liedern hatte das Organisationsteam verschiedene passende Stücke ausgelesen. Auch aus dem grossen Liederschatz von Adonia hatte Pfarrer René Schärer, immer begleitet von Christian Schneebeli, etliche Werke einstudiert. Die Rechte für eine Aufführung werden jeweils von der Kantonalkirche an die Urheber abgegolten.

Voll Inbrunst, vielfach gar mit dem ganzen Körper, sangen die Kinder diese rhythmisch gar nicht einfachen Lieder. Mit einer Lieder-CD hatten sie vorgängig zuhause alle Stücke einstudieren können. Man spürte sofort, dass daran in den wenigen Proben noch zusätzlich gefeilt worden war. Jedes Lied bekam denn auch mächtigen Applaus von den andächtig im Raum sitzenden Angehörigen und Freunden.

Beim letzten Lied des stimmgewaltigen Chors durfte auch das Kirchenpublikum mitsingen. Schliesslich kennen alle «Stille Nacht, heilige Nacht». Doch der Text musste dennoch von der Leinwand vorne abgelesen werden, hatte Andrew Bond doch auch davon eine Dialektversion namens «Still isch d’Nacht» geschrieben, die als Abschluss des Krippenspiels besser passte.

Casting für den Vertreter Gottes auf Erden

«Casting» heisst so viel wie Auswahlverfahren. Und genau das sollte nun also für den Stellvertreter Gottes auf Erden gemacht werden. Alles stand bereit. Ein Studio wurde aufgestellt, ein Tisch für die Jury. Darauf nahmen drei Erzengel Platz. Sie mussten allerdings aufpassen, dass sie sich mit ihren doch ziemlich grossen Flügeln nicht in die Quere kamen. Kaum auszudenken, wenn ein Flügel gebrochen worden wäre! Im Zeichen der Gleichstellung – oder des männlichen «Fachkräftemangels» – waren das diesmal nebst dem Engel Gabriel auch zwei weibliche Engelswesen, nämlich Raphaela und Michaela. Und obwohl im Szenenablauf von «Engel Michael» und «Engel Raphael» die Rede ist, versprachen sich die Jury-Mitglieder erstaunlicherweise nie. Im Vorfeld hatten diese je einen Kandidaten für den ausgeschriebenen «Job» ausgewählt.

Tolle Jury, tolle Moderatorin

Da war kaum Nervosität zu spüren beim «Personal» der Casting-Show. Scheinbar frisch von der Leber weg erzählte jede Engelsfigur von den Vorzügen ihres Kandidaten. Die Moderatorin hatte bereits zu Beginn des Anlasses die Bedingungen für eine solche Kandidatur durchgegeben. «Der neue Chef – «Chefin» kam gar nie zur Sprache – muss ein Alleskönner, ein Superheld sein! Er muss den Menschen Liebe Glück und Freude bringen, dazu die rechte Hand Gottes sein.» Kein Wunder, dass darauf jeder der Engel seinen Kandidaten in den höchsten Tönen pries. Die Moderatorin ihrerseits hielt das Ganze äusserst professionell zusammen.

Ganz unterschiedliche Kandidaturen

Gabriel hatte sogar eine Agentur beauftragt, einen geeigneten Kandidaten zu finden. Darum kannte er diesen nicht, diesen etwas extravaganten Professor, der da mit seinem Smartphone auftrat, alles zu berechnen suchte und dabei immer alles – so auch seine eigene Kompetenz! – sofort wieder relativierte, womit er die Jury und vor allem die Moderatorin nervte.

Als nächstes traten zwei Soldaten auf die Bühne, im Gleichschritt – 1,2,1,2… Einer erwies sich als Kandidat. Sein mitmarschierender Soldat pries diesen in den höchsten Tönen. «Mächtig, absolut gerecht, wird den Weltfrieden bringen, da nur noch er allein Waffen haben wird.» Der Soldat erdreistete sich sogar, das Publikum zum «Aufstehen!» und «Absitzen» zu bewegen, um die Macht seines Bosses zu zeigen. Und siehe da, das Publikum machte sofort mit… Ob DAS die richtige Lösung wäre?

Plötzlich erscholl Party-Musik. Drei «Party-Kids» traten auf, beteuerten, Frieden und Glück auf der ganzen Welt durch ihre stimmige Musik zu verbreiten. «Gute Stimmung gibt eine gute Welt!» Ob das wohl passen würde?

Schliesslich traten zwei Hirten in Lammfellen auf. Diese wussten allerdings nichts von einer Bewerbung für ein «Casting». Nein, sie wollten der Einladung zur Baby-Geburtstagsparty folgen, welche irgendwo hier stattfinden solle. Um die Einladung zu unterstreichen, hoben sie eine Karte hoch und öffneten diese. «Happy Birthday» war zu hören – eindeutig eine richtige Einladung. Doch ein bisschen Zeit wollten sie sich nun doch für das Casting nehmen. «Könnt ihr den Weltfrieden bringen?», fragte Raphael. Doch Gabriel wehrte entrüstet ab. «Geht’s noch? Das sind arme Hirten, was sollen denn die ausrichten können?»

Als Gabriel aber ganz unverhofft sich als Wundergestalt mit glitzerndem Lametta-Haar und pikfeiner Festrobe als Superkandidat vorstellte, ging ein Lachen durch Publikum und Jury. Das war des Guten denn doch zu viel! Den Vogel aber schoss er ab, als er meinte: «Gott als vollkommene Schönheit – und ich könnte vielleicht noch eine Lohnerhöhung bekommen!» Da musste nun die Moderatorin eingreifen und Gabriel in seine Schranken weisen.

Ein wirklich passender Kandidat

Plötzlich kamen da zwei Menschen aus dem Publikum auf die Bühne und schlugen vor, dass Gott doch als kleines Menschlein auf die Welt kommen solle, klein und verletzlich, ohne jeglichen Schnickschnack, damit später jeder Mensch mit seinen Sorgen und Nöten zu diesem kommen könne. Er solle die Wahrheit und Liebe verkünden. Das verwirrte die Moderatorin vollends. «Das ist doch ein ganz anderes Programm!», fand sie. Und wäre das nicht ganz gefährlich, so ein kleines Wesen, so schutzlos allem Bösen ausgeliefert?

Tosender Applaus beschenkte die absolut professionell aufspielenden Darstellerinnen und Darsteller. Sie hatten Text und Technik im Griff, sprachen gut ins Mikrofon und lockerten mit manchem Spruch auf jugendliche Weise das Geschehen auf der Bühne auf – natürlich alles im Rahmen des Manuskripts. Nach ihrem Einsatz fügten sich alle Kandidaten fast unbemerkt hinten in den Chor ein, so dass dieser ständig an Volumen gewann. Auch dies ein sehr kluger Einfall der Regie.

Alles wartete nun auf die Entscheidung Gottes. Und siehe da, hinter einer anderen Türe tat sich die Schluss-Szene auf. Man sah das übliche Bild eines Krippenspiels: Maria und Josef mit dem Kind in der Krippe, rund herum alle Engel, der Chor, die Moderatorin – alle stellvertretend für die ganze Christenheit.

Umrahmung durch englische Lieder

Corina Forrer ist unterdessen als routinierte, mit rockiger Stimme ausgestattete Sängerin bekannt. Begleitet von Christian Schneebeli auf dem E-Piano und René Schärer auf der E-Gitarre sang sie zu Beginn «All I Want for Christmas is you» von Mariah Carey. Das anfänglich eher etwas bedächtiges Lied wird nach und nach immer energiegeladener. Die Sängerin legte ihre ganze Seele in das Lied.

Nach dem Segen und dem Schlusswort von Pfarrer René Schärer wurde die Zuschauerschaft eingeladen, zusammen mit allen Beteiligten den auch im Kirchengesangbuch stehenden Gospelsong «Go, Tell it on the Mountain» zu singen. Mit diesen beschwingten Klängen schloss die berührende Feier, die wie eine spannende Predigt das Wesentliche von Weihnachten offenbart hatte.

Abschluss mit Pizza-Essen

Im Kirchgemeindehaus gab es danach hausgemachte, heisse Pizza für alle, von der «Küchenbrigade» speditiv vorbereitet, gebacken und von Jugendlichen dann in mundgerechten Stücken flink verteilt. Viele folgten der Einladung und genossen die feinen Happen sowie die sich ergebenden Gespräche.

Zum Bild: Küchendienst macht Freude, das sieht man bei Thomas Walser. Links ist Susanne Zürcher zu sehen, rechts ihre Tochter Janine.

Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Oberuzwil-Jonschwil

Am Samstag, 23. Dezember 2023, findet um 18:00 Uhr das traditionelle Weihnachtssingen auf dem Dorfplatz statt, organisiert von der Gemeinde Oberuzwil und weiteren Mitwirkenden. Alle sind dazu herzlich eingeladen.