In der Alten Gerbi Oberuzwil sitzen drei Damen im Knast

In der Alten Gerbi Oberuzwil sitzen drei Damen im Knast

29. April 2025 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Die drei Frauen von «si jamais» traten ja schon einmal in der Alten Gerbi in Oberuzwil auf, damals mit dem Stück «posthum». Da hatten man ihren Abgang von der Welt erlebt. Denn dies war der Schluss einer Trilogie namens «kriminell», «inkognito» – «posthum». Diesmal erlebte ein begeistertes Publikum den Anfang der Geschichte. Und der beginnt im Gefängnis, genauer gesagt in der Frauenhaftanstalt Hindelbank.

Alles auf Anfang

Da stehen zwei hübsche Frauen in farb- und formloser Gewandung auf der Gerbi-Bühne und zerreissen sich ihr Maul über die dritte Kollegin, die mit ihrem Mafioso-Lover nun ein wunderbares Leben führe, mit Jacuzzi und sonstigen Annehmlichkeiten. Und sie hockten da in einer Zelle, könnten sich kaum waschen und würden nur so vor sich herleben. Auch der «Frass» sei unterirdisch. Und so singt eine der beiden Frauen immer mal wieder «Oh du goldigs Sünneli»… von der Zellenkollegin mit schiefen Blicken und wegwerfender Gebärde begleitet. Diese sucht im Strafgesetzbuch StGB nach einem Artikel, der klare Angaben zu Hafterleichterungen macht.

Durchsagen aus dem OFF

Plötzlich wird ein Neuzugang angekündigt. Und schon kommt eine neue Zellenbewohnerin hereingestürzt, samt riesigem Kontrabass. Es ist die so verschriene Kollegin von früher, die mit ihrem Mafioso. Allerdings lebt dieser unterdessen nicht mehr – sie hat ihn erschossen.

Und dafür hat sie jetzt die Strafe aufgebrummt bekommen. X Jahre Haft im Frauengefängnis Hindelbank! Dabei wurde sie doch so beneidet als die, die mit ihrem Liebhaber im warmen Jacuzzi sitzen kann, während sie seit Tagen keine heisse Dusche mehr gesehen haben.

Nachtruhe

Hie und da lässt sich ein Wärter vernehmen, verkündet Nachtruhe, sonst…!? Man braucht schon etwas Fantasie, um eine Schlafszene so darzustellen, wie die drei Damen von «si jamais» das tun.

Aufrechtstehend, Körper an Körper, nur mit einem Kissen versehen, versuchen sie zu schlafen. Oben und unten werden erwähnt, man muss es sich jedoch vorstellen. Und weil die Frauen immer wieder über die – musikalischen – Stränge hauen, gibt es nun wirklich Strafmassnahmen. Man hört die Schliessanlage der Anstalt und bekommt unwillkürlich Hühnerhaut. Wie gut, dass man selbst nicht in diesem «Regime» leben muss!

Musikalisches

Jede Frage, ja jede Erinnerung gipfelt in einem musikalischen Feuerwerk. Am E-Piano singt sich Jaqueline die Seele aus dem Leib, während sie das Instrument gekonnt malträtiert, dazu unnachahmliche Mimik zeigt und als eine Art Drama-Queen sich bedauert. Dem «dummen» Publikum werden allerlei Fragen an den Kopf geworfen. Man hat kaum Zeit, sich alles zu überlegen, schon passiert wieder etwas auf der Bühne. Dazu passt ein frivoles Chanson wie «voulez-vous coucher avec moi» von 1974 ausgezeichnet.

Wunderbare Instrumentalistinnen, Sängerinnen und Darstellerinnen

Die drei Frauen sind alle auf ihrem Instrument eine Wucht. Bei den Klezmerklängen mit Klarinette, Bass und E-Piano kräuseln sich unwillkürlich die Nackenhaare… Auch die Stimmen harmonieren, zudem verblüfft die Vielseitigkeit der Sprachen. Es kann auch mal gar verrucht zu- und hergehen. «I wanna make love» von Jacqueline a capella vorgetragen, dazu Fingerschnippen – das Publikum übernimmt, es wird geschnippt. Man spürt dabei sofort, dass im Publikum sehr viele Kennerinnen und Kenner der Musikszene sitzen müssen.  

Wunschträume

Simone beginnt leise eine Melodie am Bass. Sie fantasiert über einen Piraten in der Badewanne, der bestimmt mal LEGO-Chefingenieur werden wird. Die Kolleginnen werden hellhörig. Liegt da möglicherweise etwas im Busch? Tatsächlich? Ein Kindlein? Von wem denn? Da kommt der auffallend nette Gefängniswärter Liechti ins Spiel. Aber grad alles will die Frau ihren neugierigen Zellgenossinnen dann doch nicht auf die Nase binden. Am Piano singt Jacqueline «Ich bin genau mein Typ», nachdem sie all ihre Vorzüge aufgezählt hat. Irgendwie muss ja diese lange Haftzeit überstanden werden. Wofür sitzen die Damen denn eigentlich? Aha, Banküberfall! Und schiefgegangen… Vor der Pause essen sie sich in Gedanken noch durch die feinsten Köstlichkeiten, die nichts mit dem «Gefängnisfrass» – wie sie das nennen – zu tun haben. Danach denken sie laut über Ausbruchmöglichkeiten nach. Mit einem wunderbaren Klezmerstück der drei brillanten Musikerinnen bekommen Künstlerinnen und auch das aufmerksame Publikum danach glücklicherweise eine Verschnaufpause. Der Andrang zur Theke ist gross…

Äusserst vielseitige Künstlerinnen

Die Frauen sind auch äusserlich sehr wandlungsfähig. Da sitzt plötzlich das ganze Publikum mit im Gefängnis, wird verkündet. Zwei sind gar aneinandergekettet. Doch deswegen kann der Bass dennoch gezupft werden! Da passt Johnny Cash’s «Folsom Prison Blues» wunderbar dazu. Auch Helene Fischers Song «Atemlos durch die Nacht» hat seinen Auftritt, ebenso der «Jailhouse Rock» von Elvis Presley.

Und wie war das mit den Andrew Sisters und all den Cover-Versionen? «Bei mir bist du scheen..» Natürlich haben sie sich auch schön gemacht. Highheels, glitzernde und knappe Kleider, dazu Täschchen, die kaum ein Nastuch aufnehmen können…

Ende der Schonzeit

Dann kommt das bittere Ende. Die «Budenfeier» ist vorbei, es geht wieder ins «Loch», zu kalten Wasser, windigem Essen und nervenden Zellengenossinnen. Doch «Hinterm Horizont geht’s weiter ». Im Bodennebel – aus einer kleinen Maschine kommend, der man eine derartige Einnebelung gar nicht zutrauen würde – wird auf die Strafanstalt Hindelbank verwiesen. Und dort bleiben sie bis zu «inkognito», dem zweiten Teil der Trilogie…In Oberuzwil fehlt jetzt nur noch dieser Teil im ganzen Reigen.

Mit viel Temperament schmetterten die drei Damen schliesslich ein trotziges «We will survive» – «Wir werden überleben!» – in den Raum. . Das Publikum zeigte sich begeistert, spendete tobenden Applaus und erhielt mit «I used to cry» sogar eine Zugabe. Beim Hinausgehen waren durchwegs begeisterte Mienen zu sehen. Nun hofft man noch auf den Mittelteil namens «inkognito», damit sich die Geschichte zu einem Ganzen fügt.

Intellektuelle Herausforderung

Wer sich das Auftrittsprogramm der Damen angeschaut hat, staunt nur so. Bei fast jedem Auftritt irgendwo in der Deutschschweiz spielen sie ein anderes Programm. Das ist schon rein gedanklich mehr als nur ein geistiger Handstand. Auch die Technik ist nicht ohne, gibt es doch immer wieder Einsprengsel, die punktgenau kommen müssen. Doch Pascal Lüthi hat dies alles im Griff. Da soll noch jemand sagen, in der Provinz sei nichts los!