Ein Vielfrontenkampf: Klimawandel heute

10. September 2023 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Wohin geht die Reise?

Die diesjährigen ökumenischen Bildungstage befassen sich mit dem Klimawandel, der die Menschen immer mehr beschäftigt. «Ist das nun wirklich ein Thema für die Kirchen?», fragte Pfarrer René Schärer in seinen Begrüssungsworten. Um gleich selbst Antwort zu geben. «Schon im Alten Testament steht in der Schöpfungsgeschichte, dass der Mensch Verantwortung für seine Umwelt habe.» Ein wichtiger Leitsatz: «Die Erde ist dem Menschen anvertraut, mit der Aufgabe, diese auch zu bewahren.»

1983 setzte der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) dafür ein Zeichen. 1986 organisierte Prinz Philip, der Duke of Edinburgh und Ehemann von Queen Elizabeth, ein Gipfeltreffen mit Führungspersönlichkeiten der fünf grossen Weltreligionen Buddhismus, Christentum, Hinduismus, Islam und Judentum. In Magdeburg in der ehemaligen DDR fanden im Zeitraum zwischen Februar 1988 und April 1989 drei Vollversammlungen zu diesem Thema statt, eine der ersten regionalen Versammlungen dieser Art in Europa. Unter dem Motto: «Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung» wurden viele Projekte angestossen. Doch unterdessen ist der Elan etwas verflogen. Dabei gehört dieses Thema im Sorgenbarometer der Menschen in unserem Land bei vielen ganz zuoberst auf die Liste.

Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz – Bewahrung der Schöpfung (evref.ch)

Schöpfung bewahren – weltkirche.de

Auch politisches Thema

Auch deshalb wurden die ökumenischen Bildungsabende diesmal nicht nur von den beiden Kirchgemeinden, sondern im Verbund mit der politischen Gemeinde und der Donnerstags-Gesellschaft Oberuzwil organisiert. Der 1. Anlass war gut besucht, was bestimmt auch dem illustren Namen des Referenten zu verdanken ist. Mit Prof. Dr. Nicolas Gruber hatten die Verantwortlichen einen absoluten Fachmann nach Oberuzwil locken können. Er begeisterte mit seinen Ausführungen zu einem doch in manchen Teilen äusserst abstrakten Thema, welches er aber immer wieder mit einleuchtenden Grafiken und klaren Bildern sichtbar machte.

Pfarrer René Schärer begrüsste die zahlreichen Interessierten und stellte den Referenten des Abends vor.

Prof. Dr. Nicolas Gruber

Wer den Mann vorstellen will, wird fast nicht fertig. Er ist ein ausgewiesener Ozeanograf, der die biochemischen Kreisläufe im Meer vor Ort studiert hat. Als einer der ersten schrieb er sich an der ETH Zürich für den neuen Studiengang «Umweltnaturwissenschaften» ein. In dieser Zeit verbrachte er ein Zwischenjahr am «Scripps Institution of Oceanography» in San Diego, USA. Dort begeisterte ihn Charles D. Keeling für die Erforschung von menschlichen Störungen des globalen Kohlenstoffkreislaufes. Nach dem Doktorat an der Uni Bern 1997 arbeitete er mehrere Jahre in den USA. Seit 2006 ist er ordentlicher Professor an der ETH Zürich. Sein grosses Thema heisst «Klimawandel und Dekarbonisierung». Er verstand es, das äusserst komplexe Thema auf anschauliche Weise darzustellen. Umweltphysik | ETH Zürich

«Klimatalk»

So nannte der Physiker seine Botschaft. Denn dass ihm dieses Thema ein Herzensanliegen ist, spürte man aus jedem seiner Worte. Doch auch das Publikum sollte mitreden können, aus verschiedenen Teilbereichen das spannendste Thema auslesen und bei Fragen jeweils sofort einhaken. Das passte vorzüglich, auch wenn die nicht abgestimmten Teilbereiche meist dennoch – wenn auch im Schnellzugtempo – angetippt wurden.

«Spielt das Wetter verrückt?»

Mit seiner ersten Frage stellte er dem Publikum bereits eine Denkaufgabe. Doch wer bei JA die Hand aufhielt, war laut Prof. Gruber auf dem Holzweg. Das Wetter spielt nicht verrückt, es findet einfach bei veränderten Umweltbedingungen statt. Die Spielregeln wurden während des Spiels geändert. In den Zeitungen kann man allerdings immer wieder alarmistische Titel lesen. Er zeigte Bilder mit wettermässigen Extremsituationen, die das Ausmass der bereits erfolgten Zerstörung sichtbar machten. Die Welttemperatur nimmt derzeit alle 10 Jahre um 0;2° C zu. 2011 – 2020 war das wärmste je gemessene Jahrzehnt mit einer Durchschnittstemperatur von 1,1°C über der des vorindustriellen Niveaus.  

Erwärmung der Meere

Das Meer war noch nie so warm wie diesen Sommer, teilweise bis in 3000 m Tiefe. Das verändert die Lebensumstände all der darin lebenden Kreaturen. Je wärmer das Meer, umso stärker auch die Stürme. Zudem steigt der Meeresspiegel, denn durch die Erwärmung des Wassers dehnt sich dieses aus. Zudem lässt die erhöhte Lufttemperatur die Gletscher schmelzen. Der Anstieg bis 2100 könnte gegen einen Meter – angenommen wird 43 – 84 cm – steigen und viele Küsten unbewohnbar machen. Meeresspiegel steigt stärker als bisher angenommen ETH Zürich

Neue Wetterphänomene

Man spürt es jedes Jahr etwas besser: Die Erderwärmung hat auf verschiedenen Ebenen grosse Auswirkungen. Die Wälder werden trockener, die Waldbrandgefahr steigt. In gleich mehreren südlichen Ländern brannten diesen Sommer grosse Waldflächen ab, teilweise glimmen die Feuer noch immer. Warme Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen, diese wird aber irgendwann wieder fallengelassen, was innert kürzester Zeit zu gefürchtetem Starkregen führen kann. Die Gletscher schmelzen ab, was die Wasserreserven mindert. Gerade hält man in der Glarner Gemeinde Schwanden den Atem an, nachdem ein riesiger Erdrutsch mehrere Häuser verschüttet oder auf jeden Fall unbewohnbar gemacht hat. Darum ist es auch so wichtig, dass jetzt Gegensteuer gegeben wird.

Warnungen in den Wind geschlagen

Der «Club of Rome» hat bereits früh vor einem solchen Szenario gewarnt, wie eine Frau aus dem Publikum einwarf. Homepage – Club of Rome. Der Referent zeigte in Modellen auf, was auf die Schweiz zukommen könnte, wenn jetzt kein Gegensteuer gegeben wird. 2080 könnte die Nullgradgrenze auf der Höhe Davos liegen, was dem Wintersportort die Grundlage für den Tourismus entziehen würde. Bis zu 50 % weniger Schneetage könnten die Folge sein.

Was treibt den Klimawandel an?

Wer ist verantwortlich für diese Phänomene? Die «Schuldigen» sind schon länger ausgemacht. Der grösste Verursacher ist das CO2, welches hauptsächlich durch Verbrennen von Fossilen Brennstoffen wie Benzin, Heizöl, Kohle, Erdgas oder Torf entsteht. Waldrodungen in grossem Stil vermindern die CO2-Aufnahme sowie die Abgabe von Sauerstoff. Aber auch Lachgas und Methan sind umweltschädlich. Beim Ausstoss von Methan ist die immer intensivere Viehwirtschaft Hauptursache.

Diagnose klar, aber welche Therapie?

Laut Gruber gibt es nicht DIE Therapie, sondern es braucht an unzähligen Stellen Korrekturen. «Weg von fossilen Brennstoffen!» heisst die Devise, die unter dem Fachbegriff Dekarbonisierung zu verstehen ist. Doch bis das so weit ist, braucht es sehr grosse Anstrengungen. Doch was kann ich als Einzelperson zu einem Wandel beitragen? Ich kann bestimmt Energie sparen, sei es mit energie-effizienten Geräten, LED-Lampen und guter Dämmung der Gebäudehülle. Aber auch die Essgewohnheiten und der Konsum überhaupt können zu einem kleineren Fussabdruck führen. Es muss einfach gemacht werden.

Wie den nötigen Strom beschaffen?

Aus dem Publikum kam die Frage von einem Energiefachmann, wie denn der nötige Strom für all die angestrebten Umstellungen auf elektrische Geräte und Fortbewegungsmittel sichergestellt werden könne. Der Referent holte darauf zu einem Katalog über mögliche Ersatztechnologien aus. So hilft es schon, wenn viele Häuser mit Solarpanelen bedeckt werden, die einen grossen Teil des Eigenbedarfs abdecken. Im Bezug auf Umweltemissionen sprach er der Kernenergie einen kleinen Fussabdruck zu. Man solle solche Kraftwerke so lange laufen lassen, wie man sie als sicher bezeichnen könne. Für neue AKW sieht Gruber in der Schweiz aber kaum Möglichkeiten. Zudem sei die Politik da immer involviert, sodass solche Vorhaben viel zu lange dauern würden. Klar sei auch, dass die Schweiz in diesem Bereich auf die europäische Zusammenarbeit angewiesen sei. Er wies auf die Windkraft hin, die beispielsweise in Dänemark bereits bei 50 % liege. Klimaschutz kann auch eine grosse Chance für die Wirtschaft sein.

Ethische Fragen

Von Umweltkatastrophen sind arme Menschen ungleich stärker betroffen als reiche. Denn wer sich kein wetterfestes Haus leisten kann, wird bei Starkregen oder Stürmen viel mehr betroffen sein. Eine Wellblechhütte kann nun einmal viel weniger Widerstand leisten. Das Thema ist gerade auch darum eines für die Kirchen, denn es geht um Gerechtigkeit in der Verteilung von Ressourcen, einen Ausgleich der Güter.

Und die Schlussfrage: Wie gross ist dein Fussabdruck?

Am Dienstagabend, 12. September 2023 findet um 19:30 der zweite Abend dieser Bildungsreihe im evangelischen Kirchgemeindehaus an der Wilerstrasse 23 statt. Thema: «Neue Energie für ein gutes Klima»

Auch der ökumenische Bettagsgottesdienst in der MZA Breite Oberuzwil vom 17. September nimmt das Thema “Klima” auf.