Kongress der Rabenkrähen

Man hört oder liest ja oft, wie Tiere durch ihr Verhalten Unglücksfälle oder auch Wetterstürze voranmelden können. Am Morgen vor dem Wintereinbruch machte Kollege Emil O. auf eine grosse Ansammlung Krähen aufmerksam. Nach dem Zmorgen war in verschiedener Richtung lautes Krächzen zu vernehmen. Überall streiften grössere und kleinere Gruppen umher. Das war nichts Besonderes, denn Krähen sind präsent, um Feinde wie die viel stärkeren Kolkraben zu verscheuchen.

Als ich am Freitagnachmittag Richtung Stoss (Gais AR) marschierte, begann es zu sudeln, wobei die „Zibollen“ (kleine Hagelkörner) vom starken Wind die Strasse entlang ostwärts getrieben wurden. Da tauchten von überall Gruppen von Krähen auf, die ja gerne im Wind spielen und sich bei gestreckten Flügeln durch Böen seitwärts fortschleudern lassen.

Nach zwei Stunden ging es dann wieder zurück, diesmal gegen den eisigen Wind. Wegen den scharfen Eiskristallen musste man die Augen fast schliessen, und ich dachte nicht mehr an die Schwarzfräcke. Auf dem Weg zwischen Hebrig und Rotenwies blickte ich kurz auf die Hebrigkrete und konnte etwas ganz Eigenartiges feststellen. Es bewegte sich etwas wie Wellenartiges, sodass ich stehenblieb und genauer hinschaute. Da sich dort das Gelände leicht wölbt, sah ich nur sich bewegende Köpfe.

Nun stieg ich auf das Nördli-Bänkli. Das Gewoge war eine Unmasse von Krähen, dicht beieinander, und es kamen immer noch mehr dazu, einzeln und auch gruppenweise zogen sie daher und bildeten eine geschlossene Gesellschaft. Dabei verhielten sich die Vögel fast lautlos, nur ein leises Klappern der Schnäbel war zu hören. Es war also ganz so wie bei einer menschlichen Versammlung, es wurde ernsthaft diskutiert.

Nachdem ich inzwischen noch etwas näher rücken konnte, stellte ich fest, dass die Vögel fast senkrecht standen, was mich an eine Ansammlung von Pinguinen erinnerte. Nach gut einer halben Stunde hörte och von einigen Vögeln ganz tiefe Laute. Es waren, glaube ich, die Schlusserklärungen der Versammlung.

Auf einmal stob die ganze Masse auf, und unter überlautem Gekrächze ging‘s wieder in alle Richtungen, wobei einige Gruppen die Rotenwies mehrmals umkreisten. Ich habe inzwischen erfahren, dass solche Ansammlungen auch andernorts. Z.B. in Eggerstanden und in Gonten zu beobachten seien. Ansage einer Katastrophe oder Tragödie?

21.11.1995