Osterfreuden eines Verdingbuben

1. Februar 2020 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Das Jahr dieses Ereignisses kann ich nicht mehr genau sagen, denn ich habe nie etwas aufgeschrieben. Aber so viel, dass es einen selten milden Monat März gab, das weiss ich noch. Anfangs April hatte es sogar bis 1000 m Höhe schon handhoch Gras. Aber der Rückschlag kam prompt, wie schon oft, direkt gegen Ostern.

Das Heu im Hausstall ging gerade zur Neige, es war nur noch Rietheu vorhanden, sodass sich der Meister entschliessen musste, mit den Kühen ins untere Gaden zu wechseln, denn dort war noch Heu vom letzten Sommer vorhanden. Aber auch dieses würde nur für wenige Tage reichen, stellte man fest. Am Ostersamstag roch man förmlich eine Schneelage voraus! Der Meister mähte den ganzen Nachmittag vom kurzen, saftigen Gras, damit man etwas Grünes zufüttern könne. Ich musste es zusammentun, was sehr mühsam war, denn das kurze „Gmües“ fiel immer durch die Zinken des Rechens. Gegen Abend hatten wir doch etwa zwölf riesige Zainen voll in der Tenne. Man glaubte nun, für ein kommendes Schneewetter bestens gerüstet zu sein und nach getaner Arbeit die Ruhe geniessen zu können. Es schien alles in Ordnung zu sein.

Am Ostermorgen dann tönte es anders, denn Mutter Emma, der 1. „Knecht“, der immer zuerst im Stall war, kam heulend ins Haus zurück. „Sofort alles aufstehen, es ist ein Unglück passiert!“ Der Meister und ich kamen zur gleichen Zeit im Stall an. Der Anblick war furchterregend. Die zweithinterste Kuh hing an der Kette, der Leib wölbte sich nach unten, während die Hinterhand noch verstreckt am Unterzugsholz hing. Es war nur noch ein Hauch Leben in dem Tier, und als der Meister die Kettensprosse durchschlug, gab‘ s nur noch einen kurzen Seufzer, dann war es aus.

Die hinterste Kuh, zum Glück ein schmales Tier, stand noch in Schräglage auf einem ganz schmalen Till (Brett), aber lange hätte sie diese Lage auch nicht mehr aushalten können. Nun musste man zuerst das Gras aus dem Tenn schaffen damit der Kadaver aus dem Stall gebracht und aufgezogen werden konnte. Der Meister war mit dem Metzgen ja gut bewandert.

Ich erhielt nun Befehl, sofort „z’Morge“ zu essen, dann in die Zürchersmühle zu rennen, zum Metzger Alder, um zu fragen, ob er die verunglückte Kuh übernehmen könne. „Nein, sicher nicht gerade an Ostern, der Meister gibt mir ja die guten Stücke auch nie!“, erhielt ich zum Bescheid. Mit dieser Nachricht wieder angekommen, hiess mich der Meister, sofort Richtung Teufenberg-Schönengrund zu laufen und Bestellungen für Fleisch aufzunehmen. Da die Häuser spärlich standen in jener Gegend, gingen auch die Bestellungen spärlich ein. Zudem hatte es zu schneien angefangen. In der Höhe angekommen, hatte es schon einen weissen Pelz, und ich war natürlich barfuss.

Die Meisterin hatte mir zwar Schuhe bewilligen wollen, was aber der Meister nicht duldete. Hinter dem Teufenberg heisst es Fuchsstein, dort hatte es Verwandte vom Meister. Die Leute liessen mich zwar in die Stube, aber die Frau war bemüht, schnell den Tisch abzuräumen, aber ich hatte doch einen Blick dafür, wie gewisse Leute schon damals feudal essen konnten. Auch hier fiel die Bestellung minimal aus. Die Familie hiess mich nun, mit ihnen zu beten, d.h. sie beteten für mich, damit ich nicht mehr frieren müsse.

Sie waren in einer religiösen Vereinigung, liessen mich aber so, wie ich war, wieder laufen, leicht bekleidet und barfuss bei einer zunehmenden Schneedecke.

Nun rannte ich Richtung Schönengrund, wo etwas oberhalb des Dorfes ein Jagdkollege des Meisters wohnte, der Schlauris Arnold, ein etwas klobiger Mann, der mich aber mochte. Bei ihm durfte ich mich am Ofen wärmen, während er mir am Holzherd warme Milch vorbereitete. Er tat mir auch einen „Gutsch“ Schnaps ins Beckeli, damit ich wegen der Verkühlung nicht krank werde. Als ich nach der Labung gleich wieder auf die Reise gehen wollte, liess er mich nicht laufe, bis ich richtig „erwarmet“ war. Er schaute mich immer wieder an, ich glaube, er studierte, wie er mir helfen könne.

Nach einer Weile sagte er: „Du musst nicht mehr weiter hausieren, sag dem Meister, ich nehme einen halben Zentner (25 kg), frage aber bei Bekannten noch herum. Wenn ich das Fleisch holen komme, kann ich vielleicht noch mehr beziehen.“ Nun gab er mir noch einen trockenen Lismer (Pullover), aber das Problem waren die Schuhe. Er habe eben Nummer 44, aber er könne sie ja halb mit Stroh füllen, es sei bei diesem Schnee doch noch besser, ich würde seine Schuhe tragen als nachher kranke Füsse zu haben.

Ernst Brunner

Veröffentlicht im Gääser Blättli am 15.April 1988