Heidi als Retterin aus grosser Lebenskrise

Heidi als Retterin aus grosser Lebenskrise

16. Januar 2020 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Im Ortsmuseum Oberuzwil werden immer wieder Wanderausstellungen gestaltet. In dieser Saison stellt die Bichwiler Zeichnerin und Dekorateurin Marlene Stör-Brenner ihre grossformatigen Bilder aus, die sie zu ihren Heidi-Geschichten gezeichnet hat. Zusammen mit dem Ortsmuseumsteam-Mitglied Ueli Gubler hat sie einen ganzen Raum damit gefüllt. Es sind farbige, vielseitige Bilder, die gerade Kindern sehr viel Details liefern. Fast eine Art Wimmelbücher…

Zur Person

Marlene wuchs in einem sehr naturverbundenen Elternhaus auf. Ihre Eltern nahmen sie gerne mit auf Ausflüge in Wald und Flur. Zuhause gab es viele Farbstifte, Papier und Bastelsachen. Zeichnen gehörte immer zum Leben bei der Familie Brenner, ebenso das Musizieren. So lernte auch Marlene verschiedene Instrumente spielen, wenn sie es auch – laut eigenen Angaben – in keinem zu absoluter Meisterschaft brachte. Mit den Eltern wurde auch viel gesungen, oft auf Bergwanderungen, Musisches gehörte also immer dazu. Und so verwundert es auch nicht, dass die Frau erst die gestalterische Vorschule in St.Gallen und danach eine Lehre als Dekorateurin durchlief. Viele Jahre bot sie auch in ihrem Haus und Garten sowie der näheren Umgebung, aber auch in Murg und Walenstadt als ausgebildete Spielgruppenleiterin spannende Waldspielnachmittage für Kinder an, bei denen „Farmerhosen“ und Gummistiefel weit nützlicher waren als helle, schöne Kleider. Noch besser war es natürlich, barfuss durch Sumpf und Bäche zu spazieren!

Marlene Stör-Brenner besitzt ein uraltes Heidibuch, dazu die alten Silvabücher von 1944 und 1946, als man die Bildchen noch mit Leim – oder vielleicht sogar Fischkleister – ins Buch kleben musste.

Ihre Gwunder-Chäschtli – eine Art dreidimensionaler Schaukasten mit ganz unterschiedlichen Szenerien – zeugen ebenfalls von ihrer Kreativität. Sie hat ganz viele mit aller Art Naturmaterialien und der ihr eigenen Fantasie gefüllt und damit vor allem Kinderaugen strahlen lassen.

In diesem Buch kann zu jedem Monat eine persönliche Geschichte aus dem Leben von Marlene Stör-Brenner genossen werden.

Zeichnen als Lebensbewältigung

Manchmal kommt es, wie man oft so schön sagt, grad knüppeldick. Das hat auch Marlene Stör-Brenner aus Bichwil erfahren. Innert kürzester Zeit verlor sie ihren Vater und ihre Schwester. Die vierfache Bubenmutter geriet in eine grosse Lebenskrise. Da kamen ihr die Silva-Heidibücher in die Hände. Die Künstlerin fühlte sich dem Mädchen in vielerlei Hinsicht sehr nahe, spürte eine Art Seelenverwandtschaft mit diesem Kind aus den Bündner Bergen, welches der Autorin Johanna Spyri weltweiten Ruhm einbrachte. Noch immer gehört das Buch zu den meistverkauften Büchern weltweit mit mehr als 50 Millionen Exemplaren. Es wurde zudem unzählige Male verfilmt, zuletzt 2015 mit dem kürzlich verstorbenen grossen Schauspieler Bruno Ganz als Alpöhi. In mehr als 50 Sprachen kann das Buch noch heute gekauft und weitererzählt werden.

Die Technik

Marlene Stör zeichnet mit Farbstift, Strich an Strich. Das braucht natürlich Zeit. Vorgezeichnet wird nichts, dafür wird hie und da ein Gummi eingesetzt. Darum muss auch die Papierqualität stimmen. Die Frau zieht kräftige Farben den blassen vor. Für die Heidibücher hat sie die eingeklebten Bilder von Martha Pfannenschmied in den SILVA-Büchern aus den Jahren 1944 und 1945 als Vorlage genommen, die Bilder aber sehr erweitert. Oft skizzierte sie sich erst einen Plan, zeichnete von der Mitte aus nach aussen, bis ihr das Bild stimmig schien. Entstanden sind detailreiche Bilder, die genau zur Geschichte passen. Witzigerweise hat sie sich in dem einen oder andern Bildchen auch selber verewigt – wie ein Drehbuchschreiber, der in seinem Film dann irgendwo in einer Kurzrolle auftritt…

Blumen sind ebenfalls Lieblingssujets für die Künstlerin. Sie werden Strich für Strich und mit ganz besonderen Farbstiften aufs Papier gebracht.

Text angepasst

Marlene Stör hat den Text der SILVA-Bücher auf eine angemessene Länge eingekürzt und neu getextet. Vorrang hatten jedoch stets die Zeichnungen. Um diese Arbeit in Ruhe zu tun, hat sie sich nach Quinten in ein Häuschen zurückgezogen, ist oft über den Walensee gepaddelt, wie sie in ihrem kürzlich erschienenen Buch Gwunderchästli-Geschichten im August-Text schreibt. Das Haus konnte sie von der Ortsgemeinde Quinten mieten. Irgendwann wurde ihr hier gekündigt, doch zum Glück fand sie in Amden ein neues Höckli, in welchem sie sich wohlfühlt. Sie liebt aber auch das Schnorcheln und Fische-Beobachten über alles. So hat sie auch immer wieder in Ägypten, vor allem in Sharm-el-Sheik gezeichnet, dazwischen einen kleinen Ausflug ins Wasser gemacht und sich dabei herrlich erholen können. Sehr gerne saust Marlene Stör aber auch steile Hänge hinunter – Hauptsache, viel Natur!

Zielpublikum

Ganz am Anfang hatte sie die Idee, ihren japanisch-schweizerischen Enkelkindern ein realistisches Bild der Heidi-Geschichte zu zeigen. Die Erlebnisse von Heidi sind ja gerade in Japan äusserst populär, Heidi wird ab er oft eher kitschig dargestellt. Mit der Zeit kamen auch andere Kinder ins Blickfeld, der Kreis der Abnehmerinnen oder Abnehmer erweiterte sich, die Künstlerin zeichnete schliesslich fünf Bände, die sie im Eigenverlag herausgibt. Mutig hat sie 35‘000 Bücher drucken lassen, einige Tausend auch auf Englisch. Alleine hätte sie dies nicht tun können, sie erhielt jedoch finanzielle Unterstützung durch ihr nahestehende Menschen. Wer diese Bücher erwirbt, bekommt für wenig Geld unzählige Stunden lang Gelegenheit zum Schauen , sieht man doch bei jedem neuerlichen Betrachten auch neue Details. Das Heidibuch

Alte Oberuzwiler Gaststätten

Parallel zur Heidi-Bilder-Ausstellung gibt es im Ortsmuseum auch eine Sammlung alter Postkarten – von Mario Klaus aus Bichwil zur Verfügung gestellt – mit Ansichten ehemaliger Gaststätten zu bestaunen. Früher gab es auch auf Oberuzwiler Gemeindegebiet noch viel mehr solche Lokale, in welchen man am Stammtisch – aber nicht nur dort! – seinem Unmut über Behördenwillkür oder missliebige Erlasse des Kantons oder des Bundes, aber auch über die Mitmenschen freien Lauf lassen konnte. Aber damals blieben diese Reden im kleinen Kreis, es gab noch kein WhatsApp mit Bild und Ton, aber auch keine Twitterer…

Ueli Gubler, langjähriger Primarlehrer in Bichwil und im Ortsmuseumsteam aktiv, stellte den Kontakt zu Marlene Stör-Brenner und dem Postkartengeber aus Bichwil her.

Das Ortsmuseum ist im Winterhalbjahr jeden zweiten Sonntag im Monat von 14:00 – 16:00 Uhr geöffnet. Das Ortsmuseums-Team freut sich über Interessierte und gibt auf Fragen gerne Auskunft. Bei Bedarf können auch ausserhalb der offiziellen Öffnungszeiten Besuchstermine abgemacht werden. Die Ansprechpersonen sind in diesem Link aufgelistet. Ortsmuseum Oberuzwil