Konzertchor Toggenburg: Vom tiefsten Süden der USA bis in den Hohen Norden Europas
2012 gründete Dr. Marcus Tremmler den «konzertchor toggenburg» Nach einem äusserst erfolgreichen Chorprojekt mit dem Werk «Die Schöpfung» von Joseph Haydn taten sich Männer aus dem ehemaligen Männerchor Ebnat-Kappel mit singbegeisterten Frauen und weiteren Männern zu diesem Chor zusammen. Schon bald sangen teilweise über 50 Sängerinnen und Sänger mit. Von Beginn weg wurde viel Gewicht auf Stimmbildung gelegt, es gab sogar Gesangsunterricht. Und selbstverständlich trat der Chor auch immer wieder auf.
Schwerer Einschnitt
Doch dann kam Corona. Plötzlich stand alles still. Als man sich wieder treffen durfte, war leider nur noch ein Rumpfchor übriggeblieben. Manche hatten gemerkt, wie schön es doch auch zuhause sei, andere verabschiedeten sich aus Alters- oder anderen Gründen. Doch im Herbst 2021 gab es mit dem vielseitigen Chordirigenten, Organisten und auch Orgelbauer – heute führt er die Firma Späth Orgelbau in Rüti ZH als Geschäftsführer – Andreas Zwingli einen Neuanfang. Leider ist der Männeranteil seit dem Bild auf der Webseite noch weiter geschrumpft. Am Konzert in Niederuzwil standen je zwei Tenöre und zwei Bässe auf der Bühne, dazu jedoch etwa 15 Frauen.
Dirigent Andreas Zwingli
Der Mann ist in vielen Musikstilen und Richtungen zuhause. So dirigiert er seit Jahren Kirchenchöre – so etwa in Richterswil -, hat den Chor VOCE aus Kirchberg SG bis zu dessen Ende geleitet, dabei immer sehr viel Wert auf Stimmbildung und gepflegten Gesang gelegt und immer wieder neue Herausforderungen zusammen mit seinen Chören gesucht. Auch der unterdessen eingegangene Tösstaler Kammerchor wurde von 1998 – 2021 von Zwingli geleitet. Mit dem «toggenburger konzertchor» probte er nun fast ein Jahr lang auf das diesjährige Novemberkonzert in Niederuzwil und Wattwil. Diesmal waren es lauter englische Kompositionen, die er dem Chor vorschlug. Gar nicht so einfach für manche Leute im Chor, welche zu ihrer Schulzeit noch kaum Englisch-lernen konnten. Und doch haben alle mitgemacht. In fast 50 Proben wurde gefeilt, intensiviert, alles zu einem Ganzen zusammengebracht. Der Dirigent leitete den Chor mit klaren Gesten und ausdrucksstarker Mimik, wobei man fast etwas um den Mann bangte, stand er doch recht nahe am «Bühnenabgrund».
Schön war zu sehen, dass man in diesem Chor auf seine Mitglieder achtet. So waren im Hintergrund Stühle zu sehen, damit Personen, die nicht mehr eine ganze Stunde einfach dastehen können, auch mitsingen konnten.
Oxana Peter-Fedjura
Die Musikerin Oxana Peter-Fedjura ist selbst langjährige Chorleiterin des evangelischen Kirchenchors Niederuzwil-Oberuzwil, hat ihren eigenen Chor Pianoxa Chor gegründet und amtet zudem als Organistin in verschiedenen Kirchgemeinden. Sie begleitet bei Bedarf auch den «konzertchor toggenburg», beispielsweise beim Romantischen Chorkonzert von 2024. Dirigent Zwingli hat mit der Pianistin auch schon mit seinen damaligen Chor «Voce» zusammengearbeitet.
Instrumentalensemble
In Niederuzwil war die Platzierung des E-Pianos ein Diskussionspunkt. Da die Akustik im Saal eher trocken ist, konnte man das Klavier nur hören, wenn die Pianistin mit dem Rücken zum Chor spielte, was den Konzertbesuchern den Blick auf den Chor etwas verstellte. Wichtig war jedoch, dass die Sängerinnen und Sänger sich bei den nicht immer leichten Harmonien gut unterstützt fühlten. Bassist Lòrànt Kovacs und Dominik Seelhofer am Schlagzeug unterlegten den Liedern mit fein abgestimmtem, eher dezentem Spiel den rhythmischen Boden. Zusammen mit Pianistin Oxana Peter bildeten sie eine feine Begleitband. Das Piano war bei Übergängen manchmal auch virtuos solistisch zu hören.
Porgy and Bess
Das Programm versprach Melodien aus Musicals aus den USA. «Porgy and Bess», diese traurige Geschichte von 1870 aus der Stadt Charleston im Staate South Carolina – im sogenannten «Bible Belt» im Süden der USA – ist eine Volksoper in drei Akten. Sie widerspiegelt das raue Leben der Schwarzen im Umland des riesigen Flusses Mississippi. Charleston war damals einer der Hauptumschlagplätze für Sklavenkäufe. Das Werk, komponiert von George Gershwin nach einem Libretto von DuBose Heyward, wurde 1935 uraufgeführt. Das Publikum war begeistert, die Kritiker weniger. Doch schon bald sollte die Oper dennoch zu einem Welterfolg werden. Viele Lieder daraus sind zu absoluten Klassikern geworden. Die Oper wurde 1959 auch verfilmt, dies mit dem unvergesslichen Menschenfreund Sidney Poitier als Porgy und seiner ebenbürtigen Partnerin Dorothy Dandridge als Bess. 2009 erhielt der Filmstar von Präsident Obama die «Presidential Medal of Freedom» für sein Lebenswerk und seinen Einsatz für die Gesellschaft überreicht.


Der Chor sang aus diesem Werk fünf Lieder, darunter das sehr berühmte «Summertime». Das Lied entwickelte sich zum Sommerhit schlechthin und wurde zu einem der meistgecoverten Werke der Musikliteratur. Eigentlich ein Wiegenlied, bekam es bald einen eigenen Platz im Jazz-Himmel. Dieses Lied stellte gleich zu Beginn hohe Anforderungen an die Sopranstimmen, sind die ersten Töne doch in grosser Höhe angesiedelt. Die Moll-Komposition forderte zudem mit nicht unbedingt üblichen Tonsprüngen heraus. Wer diese Oper gerne in einem «Schnelldurchlauf» innert 25 Minuten geniessen möchte, kann dies hier tun.
Mary Poppins
Mit drei Liedern aus dem Musical «Mary Poppins» brachte der Chor nach den doch eher düsteren Opern-Liedern einen deutlich heitereren Ton ins Konzert. 1964 erlebte der märchenhafte Film einer ganz besonderen «Nanny» nach dem Buch der australisch-britischen Schriftstellerin Pamela Lynwood Travers einen riesigen Welterfolg. Schauspielerin Julie Andrews gewann mit ihrer Darstellung des etwas schrulligen Kindermädchens Mary Poppins damit einen Oscar, der Film räumte bei 13 Nominationen insgesamt fünf dieser Trophäen ab.
Der «konzertchor toggenburg» sang daraus drei Lieder, welche allesamt Zungenfertigkeit und Schwung erfordern. Man kann sich vorstellen, dass schon mehr als eine Probe gebraucht wurde, bis alle das besondere Wort «supercalifragilisticexpialidocious» ohne Stolperer aussprechen konnten.
Dass Medizin mit einem Löffel «full of sugar» – voll Zucker – leichter heruntergespült werden kann, wusste nicht nur Mary Poppins, nein auch der Chor machte sich dies zu eigen. Und mit Chim Chim Cher-ee wurden Kaminfeger ins Rampenlicht gestellt. In Zürich gibt es heute sogar eine Agentur namens «Mary Poppins», welche Hauspersonal vermittelt.
Elende Zeiten
Der französische Schriftsteller Victor Hugo schrieb um 1860 herum das Buch «Les misérables» – auf Deutsch «Die Elenden». Aus dieser traurigen Geschichte trug der Chor ein Medley vor. Ein Mann hatte für den Diebstahl eines Stücks Brot 19 Jahre Gefängnis bekommen, was ihn zutiefst verbitterte. Glücklicherweise lernte er einen Bischof kennen, der ihm neue Wege aufzeigte, sodass er sogar Bürgermeister und Fabrikant werden konnte. Doch das Schicksal schlug auch danach immer wieder zu. Der Chor liess das Publikum die Trauer, die die Geschichte durchweht, sehr gut mitspüren. Zuerst ging es mit der Tonleiter abwärts, abwärts, abwärts. Dabei unterstützte die Begleitband den Chor auf einfühlsame Weise. Dazwischen war auch eine Art Harfe zu hören, hervorgerufen durch viele Klangstäbe am Schlagwerk. Im Teil «Bring me Home» waren für einmal auch die vier Männerstimmen richtig gut zu hören.
West Side Story
Der Film West Side Story, von Leonard Bernstein in mitreissende Musik umgesetzt, wurde vor allem durch den Film von 1961 weltberühmt. Er gewann zehn Oscars. Viele seiner Lieder sind zu Klassikern geworden. Die Kämpfe zwischen den Jets aus New York und den Sharks aus Puerto-Rico lehnen sich an die weltbekannte Geschichte von Romeo und Julia an. Der Chor sang daraus «One Heart, One Hand» und das sehnsüchtige Lied «Somewhere». Wer den Film gesehen hat, hatte beim Zuhören bestimmt Maria und Tony im Kopf, wie sie sich dabei gegenseitig trösten.
Hoffnungsvoller Schluss
Dann verliess der Chor die Vereinigten Staaten und begab sich gesanglich in den Hohen Norden. Dort feierte die Gruppe ABBA viele, viele Erfolge. Mit deren Welthit » Thank You For the Music» bedankte sich der Chor am Schluss des Konzerts beim Publikum fürs aufmerksame Zuhören. Er hatte aber noch eine Überraschung parat. Als Zugabe sang er zwei hoffnungsvolle Songs, erst «Somewhere over the Rainbow» des hawaiianischen Sängers Israel Kamakawiwoʻole und schliesslich – von einem Frauenquartett als Vorsängerinnen in perfekter schwedischer Aussprache dargeboten – Gabriellas Song aus dem eindrücklichen schwedischen Film «As it is in Heaven». Mit diesem lebensbejahenden, hoffnungsvollen Lied der Selbstermächtigung schloss der Chor seine Aufführung. Das Publikum bedankte sich mit einem herzlichen Applaus.

Vereinskassier Niklaus Seelhofer dankte vor den Zugaben allen Mitwirkenden und vor allem auch dem Dirigenten für die tolle Zusammenarbeit. Alle hätten einen Grosseinsatz geleistet. Obwohl sich der Chor über verschiedene Gönner freuen dürfe, lege er dennoch im Namen des Chors allen eine freiwillige Kollekte ans Herz. Hoffentlich hat sein Appell gewirkt…
Eine Woche später fand dieses Konzert nochmals in Wattwil statt.