Sängerbund an der Thur und Orpheus-Oktett: Völkerverbindende Kraft der Musik

Sängerbund an der Thur und Orpheus-Oktett: Völkerverbindende Kraft der Musik

2. Juli 2025 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Kaum waren die eingängigen Operettenklänge verklungen , die im März 2025 im Gemeindesaal zu hören gewesen, schon wagte sich der Männerchor «Sängerbund an der Thur» an ein neues Abenteuer. Zusammen mit dem im Jahr 2000 gegründeten Orpheus-Chor aus Lwiw – deutsch Lemberg – nahe der polnischen Grenze trat er in einem berührenden, völkerverbindenden Konzert auf und erfreute damit eine grosse Zuhörerschaft mit tiefsinnigen Liedern. Den Hauptteil des Konzerts bestritten allerdings die Gäste. Dieser Gastchor reiste nicht zum ersten Mal in die Schweiz. Im letzten Juni war er bereits in Oberuzwil mit dem von der gebürtigen Ukrainerin Oxana Peter-Fedjura gegründeten und geleiteten Pianoxa-Chor aufgetreten.

Gewiefte Tournee-Organisatorin

Margrit Mettler-Roth aus dem Obertoggenburg, Organisatorin aller 16 Auftritte des Oktetts, hat als Mitglied des «Wiiberchors» aus Ebnat-Kappel einmal einen Kurs mit orthodoxen Gesängen erleben dürfen, welchen ein Mitglied des Oktetts leitete. Sie war sofort begeistert. Und als sie für die Organisation von Konzerten in der Schweiz angefragt wurde, sagte sie sofort zu, bekam dazu auch Unterstützung aus ihrem Bekanntenkreis.

Die umtriebige Frau sucht für jeden Ort jeweils einheimische Chöre oder Musikensembles, die mit den ukrainischen Künstlern ein Programm zusammenstellen. Man kann sich vorstellen, dass die Koordination und danach Begleitung aller Auftritte – und das mit immer andern musikalischen Ensembles vor Ort – sehr viel Zeit und Nerven braucht. Bis nur schon die Ausreisebewilligungen aus der Ukraine endlich da sind! Auch diesmal fehlte ein Mann, denn die Ausreiseerlaubnis für die Männer wird von den Behörden jeweils erst kurz vor Tournee-Beginn erteilt. Wegen des russischen Angriffskriegs bekommen Männer im Kriegsdienst eben leider keinen Urlaub. So stand diesmal «nur» ein Septett auf «der Bühne». Der Tournee-Plan ist darum auch immer sehr gedrängt – vom 16. Juni bis 1. Juli 2025 gab es dieses Jahr praktisch fast jeden Tag ein Konzert. Am 28. Juni boten die Männer im Kloster Neu St.Johann im Obertoggenburg ausserdem einen Singkurs an.

Einstieg mit den «Sängerbündlern»

Feierlich in Weiss und Schwarz gekleidet und mit dazu passender Miene traten die Sänger vor den Taufstein in der evangelischen Kirche Niederuzwil. Mit viel Andacht und harmonischem Zusammenklang sangen sie das Lied Frieden von Gotthilf Fischer, gerade im Hinblick auf den nun schon mehr als drei Jahre dauernden Ukraine-Krieg und all die andern Konflikte auf der Welt ein wichtiger Aufruf. Vom Dirigenten Richard Rost sorgfältig geführt, legte der Chor den Grundstein zu einem unvergesslichen Konzert. In einer kurzen Ansprache stapelte dieser tief, als er erklärte, dass sein Chor eben «nur» ein Laienchor sei und niemals das Niveau einer derart professionellen Sängertruppe habe. Allerdings legten sich die Sängerbündler sehr ins Zeug und überzeugten mit ihren Darbietungen. Ihr Lied «My Evaline» – ein flehentliches Liebeslied –, von Dirigent Rost sehr genau angeleitet, wurde jedenfalls sehr beklatscht.

Auftritt des Orpheus-Ensembles

Dann traten die sieben Männer aus der kriegsgebeutelten Ukraine singend durch den rechten Kirchengang nach vorne und gruppierten sich um den Taufstein. Mächtig erklangen die Harmonien des orthodoxen Eingangsliedes. Jeder einzelne Sänger ist in diesem Ensemble ein Solist. Man staunte über die Klangfülle, die Ernsthaftigkeit und spürte etwas vom religiösen Erbe der mehr als tausendjährigen orthodoxen Ostkirche. Man staunte auch über die langanhaltenden Schlussakkorde, die auf langes Training ihrer Stimmen hindeuteten. Fast unbemerkt passierte auch das Anstimmen. Und schon mit dem ersten Ton jedes Liedes war die Kirche erfüllt von ihrem vielfältigen Gesang.

Auch das Leiden des Volkes wurde in melancholischen, kraftvollen Liedern besungen. Im Lied «Maria vom Kreuz» blitzte der Wunsch auf ein Ende des in der Heimat tobenden Krieges auf. Die Ballade über ein gerettetes Kloster liess spüren, dass die Männer wissen, wovon sie singen.

Ihr Halleluja – mit viel Emotionen und feinsten Abstufungen in Lautstärke und Gestik – war an Dramatik kaum zu überbieten. Ergriffen hörte das Publikum zu.

Wunderschöne Kleider

Das Publikum bekam auch etwas zu sehen. Jedes – weisse – Hemd war vom Kragen bis fast zur Taille herunter wunderschön in einem schwarz-weissen Muster bestickt, Wyschywanka genannt – das Gilet darüber ganz individuell mit Blumenmotiven verziert. Die Stickereien auf den Hemden zeigen heute den Stolz der ukrainischen Bevölkerung auf ihre eigene Kultur.

Es heisst, dass diese Stickereien ursprünglich auch dem Schutz vor negativen äusseren Einflüssen dienen sollten. Mit den schwarzen Hosen dazu als beruhigendem Kontrast und schwarzen, auf Hochglanz polierten Schuhen, wie man das hierzulande heutzutage kaum mehr sieht, boten die Männer auch optisch einen äusserst erfreulichen Anblick.

Heimatliche Klänge aus der Ukraine

In einem zweiten Teil liessen die sieben Männer das begeisterte Publikum am reichen Volksliederschatz der Ukraine teilhaben. Wie in jedem Land werden hier junge, natürlich meist ausserordentlich hübsche Frauen besungen, Weh und Glück der Liebe, aber auch die Landschaft und die Heimatliebe gezeigt. Die Sänger wechselten bei ihren Moderationen in verschiedene Sprachen, schliesslich «verstehen in der Schweiz ja alle Menschen Fremdsprachen», wie einer charmant anführte. Sie führten das Publikum in die Karpaten, und dies teilweise in so atemberaubendem Tempo, dass es einem beim Zuhören fast den Atem verschlug.

Und natürlich wurde eine schöne Frau besungen, dazu auch eine solche aus dem Publikum auf die «Bühne» geholt und angehimmelt… J

Ja, die Männer haben Charme, Stimmgewalt und feinen Humor, aber auch eine grosse Bandbreite an Gesten, um ihren Gesang zu unterstützen. Hier und dort hörte man bei diesen Volksliedern auch ukrainische Stimmen, in den Kirchenbänken, die voller Emotionen mitsangen.

«Lueget vo Berg und Tal»

Bis anhin hatten die Männer alles auswendig gesungen. Doch plötzlich sah man Notenmäppchen in ihren Händen. Kein Wunder, denn das Lied «Lueget vo Berg und Tal» gehört ja kaum zum Repertoire eines ukrainischen Chors. Es war äusserst erstaunlich, wie genau sie sich die Aussprache angeeignet hatten.

Es dauerte denn auch gar nicht lange, so sangen viele in den Kirchenbänken mit, allerdings eher verhalten, man wollte ja immer auch die Stimmkünstler hören. Das war ein schönes Geschenk an die schweizerische Zuhörerschaft.

Gemeinsamer Abschluss

Mit dem Lied Tibie Paiom von Dmitri Bortnianski (1751 – 1825) wurde nochmals gemeinsam um Frieden gebeten. Dabei fügten sich die ukrainischen Sänger ganz unauffällig in die Reihen des Sängerbundes ein, keine einzige Stimme stach da heraus. Den Abschluss machte das gemeinsam gesungene Segenslied «Mmnohaja Lita», in welchem allen Menschen ein langes Leben gewünscht wird, bestimmt ein absolut verständlicher Wunsch, wenn man aus einem Land kommt, da Krieg und Zerstörung wüten. Mitten in diesem Lied überliess Richard Rost das Dirigat dem ukrainischen Chorleiter, eine rührende Geste, die die völkerverbindende Kraft von Musik nicht nur hör-, sondern auch sichtbar machte. Das Publikum war hell begeistert, klatschte und klatschte und ehrte die Mitwirkenden mit einer zünftigen Standing Ovation. Die hoffentlich ansehnliche Kollekte all dieser Konzerte kommt den Sängern aus der Ukraine zugute.