Frische Forellen für den Meister

Aus meinem Verdingbubenleben 1919 – 1928

Ich ging in die vierte Klasse und musste mit dem Meister ins [1]Nachbarheimet, wo er einem armen Kleinbauern das Heu abkaufte, um dort vor Ort die eigenen Tiere zu füttern. Das heisst nicht, dass der Meister mit dem Mann geredet hätte, denn jener war gegenüber dem Meister darüber meistens etwas verschuldet.

Wenn dieser dann die Augen aufsperrte und meinte, er hätte das Heu ja nicht verkauft, bemerkte der Meister: [2]„Jää, mer werid ös denn scho ees.“ Natürlich machte er dann, wenn alles Heu aufgefressen war, selber den Preis. So rückten wir mit acht Rindern in jenen Stall ein. Ich ging sehr gerne dorthin zum Füttern, denn es war ein sehr freundlicher, origineller Mann, der mir viele spannende Geschichten zu erzählen wusste.

Der Weg führte über das Quellbächli des Murbaches, welcher von der Waldstätterseite in die Urnäsch mündet. Es war im Oberlauf ein unscheinbares Wässerlein, aber für Forellen die beste Lebensgrundlage, denn es wimmelte nur so von Köcherfliegenlarven und – im Sommer – von Mückenschwärmen. Als wir auf dem Rückweg über das Brücklein gingen, sprang gerade eine kapitale Regenbogenforelle in die Luft, wo sie eine unvorsichtige Libelle erhaschte.

„Die kannst du am Sonntag heimbringen, wir verspeisen sie dann miteinander!“, trug mir der Meister auf.

So wurde ich zum Hobbyfischer. Besagte Forelle wog etwa 1 ½ Pfund. Sie wurde im Brunnen deponiert bis zum Abend. Ich muss dabei erwähnen, dass ich mich zum Fangen auf den Bauch ins Wasser legen musste, denn der Fisch war unter einem mächtigen, überhängenden Stein. Auf andere Weise hätte ich die Forelle mit meinen kurzen Armen gar nicht erreichen können. Am Abend ging ich nicht wie üblich sofort nach der Arbeit ins Bett, denn ich war voller Vorfreude auf den Forellenschmaus. Bald jedoch tönte es: [3]„Wa guunischt denn no omenand, mach, dass is Nescht chonnscht, so bisch am Morge wieder näbis!“

Ich konnte dann den Bratenduft, der sich im ganzen Haus verbreitete, doch noch etwas geniessen, bevor ich einschlief. Ich habe aber nur auf Befehl gefischt. Im Verlauf der letzten vier Jahre Verdingzeit erhielt ich noch oft solche Order. „Aber dass du mir nur die schönsten ausgewachsenen Exemplare bringst!“ Natürlich merkte der Pächter, Inhaber des Fischereipatentes für diesen Abschnitt, mit der Zeit das Verschwinden der schönsten Fische.

An einem weiteren Sonntag hatte ich wieder ein wahres Prachtexemplar gefangen und im Brunnen platziert. Ich musste danach die „Bsetzi“ wischen, da hörte ich plötzlich Stimmen. Schnell guckte ich um die Gadenecke, um zu sehen, wer da komme. Es waren zwei Männer, die eben aus der Richtung des Bächlis kamen, welches ich kurz vorher verlassen hatte. „Nun, wie den Fisch unauffällig verschwinden lassen?“, fragte ich mich. Aha, da kam der eingeweichte, hölzerne Kälbertränkkübel gerade recht! Ich warf den Fisch hinter den Brunnen, tat einen dicken nassen Sack darauf und stülpte dann den Kübel darüber.

Schon waren die Männer beim Stall angelangt und guckten äusserst interessiert in den Brunnen, während ich seelenruhig weiterwischte. Da wurde ich wie folgt angesprochen: „Bub, hast du etwa Leute beobachtet, welche sich dort unten beim Bach aufhielten? Der Fischbestand hat nämlich beim Oberlauf stark abgenommen.“ „Nein“, konnte ich mit gutem Gewissen sagen, da ich ja immer allein bei der „Arbeit“ war. Weil der Meister abwesend war, die Frauen von der Fischerei sowieso „nichts wussten“, zogen die Männer wieder ab. Der Regenbogendame war es unter besagtem Sack samt Kübel „fischeliwohl“, sie erfreute sich noch bis am Abend am Frischwasser.

Da ich nie auch nur ein Versucherli meiner Beute erhielt, sann ich auf Abhilfe. Zu dieser Zeit war beim Nachbarn, auch einem grösseren Bauern, ebenfalls ein Verdingbub eingezogen. Der „Chüedler“ (Konrad) war ein Neffe der Bäuerin. Wir wurden bald gut bekannt miteinander, denn er musste ja in die gleiche Schule. Ich war sehr froh, endlich einen Kameraden zu haben. Ich habe ihm bald erzählt, dass ich nur fischen müsse, nie aber kosten dürfe. Wir könnten doch die gefangenen Fische selber zubereiten, entschieden wir darauf.

An einem Sonntagnachmittag fingen wir weiter unten – am Oberlauf hatte es längst keine ausgewachsenen Forellen mehr – drei extra schöne Regenbögeler. Ich nahm sie aus, mein Kamerad suchte dürres Holz zusammen, damit wir sie „fachmännisch“ rösten konnten. Das Holz war aufgeschichtet, das Joch aus einem grünen Weidenast erstellt. Ein Stück Büschelidraht war in der Nähe zu finden und wurde um die Kiemen geschlauft. Alles war bereit, man musste nur noch das Feuer entfachen. Aber in diesem Moment hörten wir Stimmen und nach kurzer Zeit ein Platschen, es mussten also Leute in der Nähe sein.

Also nichts wie ab und sofort verschwinden! Und so liessen wir den ersehnten Schmaus ungebraten im Stich und schlüpften durch den dichten [4]Haselstaudenhag und verzogen uns in die entgegengesetzte Richtung, von den Häusern weg, da wir vermuteten, dass die Männer dort nach den Frevlern suchen würden. Nach einer guten Stunde kamen wir mit einem Sträusschen zur Meisterin, bei der sich zwei Männer aufhielten, die ihr vor unseren Augen die schönen Fische zeigten und schmunzelten, weil sie so [5]„ring“ dazugekommen seien. Wir durften unsere Gefühle bei deren Anblick natürlich nicht zeigen und spielten die Unbeteiligten.

Ernst Brunner, 1988 geschrieben


[1] Anwesen, Hof

[2] Wir werden uns dann schon einig

[3] Was hängst du da noch herum, mach, dass du ins Bett kommst, so magst du morgen wieder arbeiten.

[4] Hag = Zaun

[5] einfach, leicht