Frauenschüeli – ein Wunder der Natur

31. Januar 2019 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Das erste Mal hatte ich damit zu tun, als mich der Meister eines Sonntags nach der Stallarbeit losschickte, in einem mehrerer Kilometer entfernten Tobel einen Strauss der seltenen Orchideen zu holen. Unterwegs müsse ich bei seinem Jagdkollegen S. vorbei, um den genauen Standort zu erfragen.

Es waren aber keine Frauenschüeli, sondern nur noch „Narren“ – das Kraut ohne Blüten – vorhanden. Herr S. riet mir, halt auf dem Heimweg alle Töbeli abzusuchen, so käme ich sicher zur Sache.

Nachdem ich etwa fünf Stunden unterwegs gewesen war, hatte ich ganze vier Pflanzen gefunden, die dann bei der Heimkehr in einem kümmerlichen Zustand waren. Die Töne, die der Meister anschlug, machten mich nicht gerade hochmütig, die Merkfähigkeit betreffend. Die Schüeli gingen nun im Wasser prächtig auf. Diese einmalgien Blütenformen prägten sich mir so ein dass sie jedes Jahr zur Blütezeit in mir erwachten.

Später, in der Burschenzeit, war ich einer Gruppe, deren Ziel es war, im Urnäschtobel möglichst alle Standorte der Frauenschüeli aufzustöbern, aber nur abzuzählen, nicht etwa zu pflücken oder gar auszugraben. In Tüfels­muren, einem Tobelabschnitt im Grenzgebiet Urnäsch, Hundwil und Waldstatt, waren viele Standorte, adie aber wegen der brüchigen Muren – mauerartig ausgewaschene Felspartien – schwer zu erreichen waren. In jenem Gebiet gab es auch ganze Wiesli voll mit wilden Maieriesli, ockerfarbigen Aurikel und – so man Glück hatte, konnte man auch etwa einen Kristall finden.

In der Folge entdeckten wir auch das erste Wildentengelege in unserem Kanton – vor 63 Jahren. Aber leider wurde es von Vandalen zerstört, die Flecken an der gegenüberliegenden Felswand zeigten es an.

Nun gut, im Laufe der Zeit gab es immer mehr Leute, die die Wunderorchidee Frauenschüeli im eigenen Garten haben wollten und deshalb die Standorte plünderten, jedoch meist mit kleinem Erfolg. Denn in der gewöhnlichen Gartenerde hatten die Pflanzen Mangel an speziellen Mineralien und degenerierten nach wenigen Jahren.

In einem Fall, das heisst von einer Ausnahme kann ich berichten, wo jedes Jahr eine grosse Anzahl  „Schüeli“ spriessen. Aber des eben nur deshalb, weil der Liebhaber viele Kesser voll Standort-Erde heranschleppte. Dass man aber diese Prachtspflanzen an ihrem Naturstandort belässt, sollte jedem Menschen Ehrensache sein.

Wunder der Natur…
…an verborgenen Orten…
… in der näheren Umgebung von Oberuzwil…

05.06.1993