Föhnstürme – hautnah erlebt

Ich habe klare Erinnerungen an die beiden grossen „Löfte“[1] von 1919 und 1924

1919 wohnten wir im alten Schulhaus – links vom heutigen Restaurant – in der Schönau in Urnäsch. Wir waren drei kleine Kinder, zwei Knirpse und eine Schwester, die das Geschehen während des Sturmes durch die Spalten der Läden im Sticklokal verfolgen durften. Dies wurde uns aber bald zu langweilig, und wir verliessen das schützende Haus, um mehr zu sehen. Es war jedoch nicht ein konstant blasender Wind, sondern da kamen einzelne Böen abwechselnd mit windstillen Momenten, gefolgt von zahlreichen Wirbeln, die im Hammwald mehrere Tannen abdrehten, welche danach senkrecht in der Luft dahersegelten, mitunter bis nahe ans Gebäude. Bald hatte die Mutter uns Ausreisser entdeckt und diesmal im Lokal eingeschlossen. 1919 wurde fast der ganze Waldbestand im Gebiet des Hamms und des Tüfebergs ruiniert.

1924 war ich als Verdingbub im Hinterberg stationiert. Etwas „luftig“[2] war es schon am Morgen früh, aber nicht so, dass man das Geflügel nicht herauslassen durfte. Aber allmählich steigerte sich der Wind zu Sturmesstärke. Nachdem wir alle gefährdeten Türen, Fenster und Läden gesichert hatten, hiess mich der Meister nachzusehen, ob alle Hennen[3] und Enten unter Dach seien. Die Hennen waren teilweise in der Tenne[4], aber grössten Teils in ihrem eigenen Stall.

„So Bub, bevor du alle Enten auch im Stall hast, kannst du nicht ins Haus!“, lautete sein Befehl. Ich wusste auswendig, wo sie waren, nämlich etwa hundert Meter vom Haus entfernt, in dem schmalen Einschnitt eines Quellbächleins, wo sie sich sicher fühlten. Aber sie waren nicht gewillt, diesen Platz zu verlassen. Nachdem ich sie mehrmals herausgetrieben hatte, musste ich aufgeben, denn sie stoben wie eine Wolke auseinander, um sich wieder in der hintersten Ecke zu verkriechen. Auf dem freien Feld hatten sie offensichtlich Angst, keine Luft zu bekommen, denn sie guckten mit aufgesperrtem Schnabel gegen den Himmel. Ich schlich darauf heimwärts und versteckte mich unter dem Stall, wo mich der Meister jedoch bald aufstöberte, um mir die „verdienten“ Schläge zu verabreichen.  

In den Wäldern konnte der Sturm 1924 nicht mehr viel schaden, denn es war ja ordentlich Jungwuchs vorhanden, weil ja der frühere Sturm von 1919 so radikal abgeräumt hatte, aber die Gebäudeschäden waren enorm.

Am 04.04.1987 gab es einen erneuten Sturm, den ich in Gais erlebte. Um halb Neun ging ich dorfwärts, Richtung Coiffeur. Auf halbem Weg sprach mich eine Touristin an und meinte: „Ihr habt es hier doch schön, ihr müsst nur aufstehen, und schon könnt ihr den wunderbaren Alpstein bewundern!“ Ich gab zur Antwort: „Ja, das stimmt, aber heute ist der nicht in allerbester Stimmung!“ Es sah nämlich so aus, als hätte man ein schmutziges Staubtuch über den ganzen Komplex gebreitet. Beim Coiffeur gab es zuerst mehrere kurze Stromunterbrüche, bis dieser auf einmal für längere Zeit ausfiel. Ich machte darauf eine kurze Teepause im Restaurant Löwen. Dort konnte man die Wirkung des sich stets verstärkenden Sturms sehr gut beobachten. Die ersten Opfer waren zwei kapitale Linden einer schönen Baumreihe in der Nähe.

Darauf machte ich einen Rundgang, um weitere Schäden auszumachen. Beim Stadel Buchenweid überquerte ich das [5]SGA-Geleise Richtung Krete, wobei mir zuerst einmal die Zipfelkappe entrissen wurde. Ich war zu längerer Jagd gezwungen, um sie wieder zu erwischen. Die letzten Meter hangauf musste ich auf allen Vieren erklimmen, denn der Sturm wurde merklich stärker. Auf dem Grat angelangt, riss es mir auch die Brille weg, und beim Nachjagen wäre hätte es mich fast den Abhang hinunter „gewischt“. Zum Glück wurde die Brille am Schafzaun aufgehalten. Von dort bis zum „Hebrig“ musste ich mich mehrmals fallenlassen, weil ich mich trotz meines massiven Stocks nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Beim „Hebrig“ war ein Mann gerade mit einer Verkehrsumleitung beschäftigt. Wie ich feststellen konnte, war dies ein ganz besonderer Sturm, denn die Stösse nahen minutenlang an Stärke zu, sodass die also gepackten Bäume nicht mehr zurückfedern konnten. Daher auch die enormen Sturmschäden.

Katastrophal hätte es auch beim Altersheimdach werden können, denn kurz vor Mittag waren an zwei Stellen zwei grosse „Wirbleten“[6] auszumachen. Zum Glück flaute der Sturm nach dem Mittag merklich. Die Dachdeckersleute waren schnell zur Stelle und ersetzten die grosse Zahl heruntergefallender Ziegel.


[1] Winde

[2] windig

[3] Weibliche Hühner

[4] Vorraum in der Scheune

[5] St.Gallen-Gais-Appenzell (Altstätten SG)-Bahn, unterdessen schon lange AB – Appenzeller-Bahnen. Im Augenblick läuft eine Fusion mit der Frauenfeldbahn (2020).

[6] Windwirbel