Die Kraftprobe

4. Februar 2019 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

„Einen Verdingbuben hat man nicht ums Dreckle!“, dachte mein Meister. Er sagte es auch, wenn jemand – etwa auch aus seiner Verwandtschaft – meinte, der Bub solle doch auch etwa ein Weilchen freihaben, um etwas für sich selber zu tun. Gemeint war etwa Basteln oder Spielen. Er war ein Meister darin, auszurechnen, was ich noch zwischen den Hauptarbeiten alles erledigen könnte.

Die Tage waren lang, und oft hiess es: „Spring echli, me het denn no andere Ärbet!“ Im Falle, dass es doch nicht schnell genug ging, hatte er noch schnelle Holzschuhe oder angespannte Knie parat. Mein Meister war ein grosser Holzfrevler, d.h. er holzte seine Liegenschaften im Grossen und Ganzen ohne Bewilligung ab. Es war ja Krisenzeit – die Zwanzigerjahre –, und mancher Bauer oder Bursche war um einen Nebenverdienst froh. So ging das Holzen schnell vonstatten, sodass der Förster jeweils vor vollendeten Tatsachen stand, denn auch er konnte gefälltes Holz nicht wieder aufstellen. Eine Busse nahm der Meister schon in Kauf…

Einmal ging es ungefähr um eine halbe Hektare. Der Meister wollte in der Weide einen neuen Stafel gewinnen, also Wald in Weideland verwandeln. Es war ein nur ungefähr 50 Jahre alter Bestand und wurde zudem während der Saftperiode umgelegt, im Mai. In jenen Jahren war die Saftrinde zum Gerben sehr begehrt, ja die Rinde – rund um den Stamm geschält – brachte fast mehr ein als das Holz. Aber auch das Stangenholz hatte guten Absatz. Das „Chres“ – die feinen Äste – stellte man am Rande des Waldes zu „Hütten“ zusammen. So blieb es mehrere Jahre gebrauchsfähig.

Der Meister sagte nun zu seiner Mutter – dem ersten Knecht – sie habe nun eine Weile zum „Böschele“, doch sie weigerte sich, dort zu arbeiten. Sie verlangte, dass das Böscheliholz nach Hause geschafft werden müsse, dort wolle sie es dann schon verarbeiten.

Von jener Parzelle gab es eben wegen der Steilheit der Borte – Abhänge – keine Fahrmöglichkeit, und das Holz lag mindestens 200 m vom Haus entfernt. „Ja, dann weiss der Bub fortan, was er zu tun hat!“, hiess es. Ich habe darauf während Jahren unzählige Bürdeli zum Haus getragen. Die betagte Frau verstand es, schön geformte Büscheli zu machen, die der Meister dann per Fuhrwerk nach Herisau verkaufte. Ich hatte also in jenen Jahren während langen Tagen nie eine Ruhepause.

Auf dem Weg zum Holzplatz musste ich an einem Geländeabschnitt vorbei, einem engen Tälchen, das auf beiden Seiten von steilen Hängen flankiert und vom stielen Teufenbergnordhang quer abgeschlossen wurde. Dort befanden sich die Quellfassungen der Waldstätter Wasserversorgung. Waldstatt hatte schon anfangs des Zwanzigsten Jahrhunderts eine hervorragende Wasserversorgung. Die Gemeinde kaufte sämtliche Quelle – gegen 20 – in jenem Gebiet, und diese wurden in bis 3 m tiefen Wasserschächten in drei Brunnenstuben gesammelt, und – man denke! – in einer kilometerlangen Leitung bis ins Dorf geführt.

Aus diesen Sämmlern konnte man, wenn man das Ohr an das Schlüsselloch der Deckel hielt, verschiedene Töne vernehmen. Jede Quelle hatte ihren eigenen Ton, das hing von der Höhe des Einlaufs und der Wassermenge ab.

Zwischen den Sämmlern waren einige Steinhaufen, die man in der Umgebung zusammengelesen hatte. Diese hatten es mir angetan und ich übte mich oft im Steinheben und –stossen. Aber ich durfte ja nie lange ausbleiben beim Holztragen. So überlegte ich, wie ich es anstellen könnte, dass niemand merke, wenn ich dem Spiel fröne. Ich fing an, zur Unzeit einige Bürdeli in jene Senke zu tragen – von der aus man vom Haus her keine Einsicht hatte -, und von dort hatte ich ja nicht weit zum Haus.

Mit der Zeit fing ich an, Steine auf die eisernen Deckel zu schmeissen, was dann, je nach Schwere, schauerlich-schöne Töne hervorbrachte. Nun wurde ich mit der Zeit auch etwas stärker und konnte schwerere Brocken aufheben. Doch eines Tages war einer wirklich schwer genug. Ein Deckel brach ein und die Gussstücke platschten in die Tiefe. Nicht dass ich besondere Freude an der Sache verspürte, denn meine Sorge war, dass ja dem Weidevieh nichts passieren könne am offenen Schacht. Bald hatte ich die Lösung des Problems. Ich holte im nahen Weidestall eine „Überbrugg“ – eine Art Abdeckung -, die ich mit Steinen und einigen Bündeln Chres bedeckte.

Als mich der Meister eines Tages fragte, was denn das bedeute, antwortete ich, dass damit das Holz leichter werde. Bis zum Spätherbst merkte niemand etwas von dem Schaden, aber dann kam die Kontrolle durch den Brunnenmeister von Waldstatt. Er legte natürlich das Loch frei und forschte beim Meister nach, was denn da passiert sei. Der war nicht auf den Kopf gefallen und schickte mir seine Frau entgegen, als ich auf dem Heimweg von der Schule war. Ich müsste dringend nach dem Äschen, einen Brief überbringen. Der Kontrolleur fragte nämlich nach mir. Er wollte „den Buben“ noch selber ausfragen, aber weil ich erst zwei Stunden später heimkam, war der Mann dann doch gegangen. Der Meister wollte dann aber doch noch von mir wissen, ob ich das „Ding“ angestellt hätte.

Ich ging straffrei aus, aber nur, weil es den Meister keinen Rappen gekostet hatte – und mir hätte man, mangels eines solchen, auch keinen nehmen können.

Aus der Verdingbubenzeit 1920 – 1929

Im Gääser Blättli 1987 erschienen