Den Tannenhäher per Zufall entdeckt

31. Januar 2019 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Diesen Herbst waren verschiedene Zeichen der Natur zu beobachten, die sich zeitlich ganz anders verhielten als in anderen Jahren. Zum Beispiel hatte es Mitte August schon an mehreren Orten Herbstzeitlosen, und auch die Schwalben sind bereits im August ausgezogen und nicht mehr wiedergekehrt, wie andere Jahre auch schon.

Aber etwas Anderes faszinierte mich, nämlich, dass zur gleichen Zeit überall Haselnuss-Schalen herumlagen. “Sind es vielleicht Haselmäuse die die bei uns spärlichen Eichhörnchen?”, überlegte ich mir. “Nein, die hinterlassen von ihrer Ernte kaum Spuren.”

Nun, eine Frau in der Au konnte mir Auskunft geben. Sie beschrieb mir dunkle Vögel, deren Federn mit wenig weissen Bändern versehen seien. Diese huschten mit den abgerissenen Früchten meist zum nächsten Baum um sie sofort auf harter Unterlage aufzubrechen. Ich habe dann oft in der Nähe der Haselbüsche gelauert, aber da die „Ernte“ ziemlich beendet war, kamen die Vögel nicht mehr zu dieser Stelle. Ich habe später in einer Gesprächsrunde davon erzählt, und der anwesende Förster bestätigte mir, dass es sich um Tannenhäher – verwandt mit dem Eichelhäher – handeln müsse. Er gab mir einen Tipp, wo ich ihn mit Sicherheit antreffen würde.

In der genannten Gegend wollte ich eine Frau befragen, welche aber an Vogelkunde überhaupt nicht interessiert war. „Hier könnt Ihr aber nirgends durch, es ist alles eingezäunt.“ Aber es behagte mir nicht, wieder einfach zurückzugehen. Ich sah ein schönes dichtes Wäldchen, das aber mit mannshohen Staketen umzäunt war. Ich kraxelte diesem entlang den Hang hinauf und kam an den Grenzzaun zur Weide, umgeben von einem fünffachen Stacheldrahtzaun. Ich erinnerte mich an das Gelernte aus dem Aktivdienst und konnte so unbeschadet durchkriechen.  

Stark ermüdet erreichte ich die Krete und näherte mich dem Buschwerk im Westen des Grundstücks. Ein leises Rascheln verriet mir, dass Vögel am Naschen waren, und hielt mich eine halbe Stunde lang völlig ruhig. „Nichts gewesen!“, sagte ich mir und begann den Abstieg zur Weierweid. Da! Ein lautes Klatschen, und ein dunkler Vogel schoss fast greifbar nah an mir vorbei, um im Bogenflug ostwärts zu verschwinden. Doch auf der Gegenseite startete ein Anderer. Mit zackigem Flügelschlag versuchte ein Sperber dem Häher der Weg abzuschneiden und in offenes Gelände abzutreiben, was ihm aber nicht gelang. Der Häher klappte die Flügel zu und liess sich in dichtes Gebüsch fallen. Fast gleichzeitig kam ein anderer Vogel dem Boden entlang und setzte sich in das Dickicht.

Die Farbe hatte ich nun heraus: dunkelgrau bis ins Schwärzliche übergehend mit fahlweissen Tupfen und mit einem schmalen weissen Band um den Hals. Ich war nun sicher, einen Tannenhäher gesehen zu haben. Der entgegenkommende Vogel war ein Jungtier, also war im Dickicht ein Nest verborgen.

Die Verteidigung dieser Geschöpfe gegen ihre Feinde ist bewundernswert. Aber im Stillen möchte ich den neu entdeckten Freunden verraten, ein anderes Domizil zu suchen, denn der Sperber wird  sie nicht aus den Augen verlieren. Er kann sich in Geduld üben… Ich hoffe, dass der Tannenhäher, sonst eher ein Gebirgsvogel, noch viele Freude gewinnen möge.

19.10.1993