Wesen und Wirkung der literarischen Gattung WITZ

Wesen und Wirkung der literarischen Gattung WITZ

12. November 2019 Aus Von Annelies Seelhofer-Brunner

Die Bibliothek Uzwil lud kürzlich zu einem besonders heiteren Abend ein. Der Schauspieler sowie Dialektkenner und -könner Hanspeter Müller-Drossaart liess sich von Journalist Urs Heinz Aerni allerlei Handfestes zum Thema „Der Witz – die unterschätzte literarische Gattung“ entlocken. Trotz nicht unerheblicher Konkurrenz durch das am gleichen Abend stattfindende ABBA-Musical im Gemeindesaal Uzwil füllte sich der Raum in der Bibliothek bis ganz nach hinten. Im Publikum sassen diesmal erstaunlich viele Männer. Man sagt diesem Geschlecht schliesslich gerne nach, es habe einen besonderen Sinn für Humor…

Nicht zum ersten Mal in Uzwil

Urs Heinz Aerni ist für das treue Uzwiler Bibliothekspublikum kein Unbekannter. Schon mehrmals hat er spannende Persönlichkeiten in einem dialogischen Gespräch auf den Zahn gefühlt. Das war im Februar 2014 mit Michelle Halbheer der Fall, welche unter dem Namen PLATZSPITZBABY ein aufrüttelndes Buch über ihre von Drogen geprägte Kindheit geschrieben hatte. Im Juni 2017 war der europaweit bekannte Sportreporter Marcel Reif zusammen mit dem Journalisten in der Bibliothek zu Gast. Im Oktober des gleichen Jahres stand auch der bekannte Fernseh- und Radioreporter Röbi Koller Urs Heinz Aerni Red und Antwort. Diesmal nun also Hanspeter Müller-Drossaart…

Hanspeter Müller-Drossaart – vielseitiger Künstler

Filmfreunde kennen den Mann bestimmt als wandlungsfähigen Schauspieler, so etwa als schmierigen Pfarrer im Film DIE HERBSTZEITLOSEN. Die Herbstzeitlosen Im Film CANNABIS spielte er einen Haschisch rauchenden Bundesrat Film CANNABIS, war der erwachsene DÄLLEBACH KARI im berührenden Film von Xavier Koller, füllte aber auch unzählige andere Film- und Theaterrollen aus. Er ist zudem ein begehrter Hörspielsprecher. Früher stand er sogar auf der Burgtheaterbühne Wien.

Und kaum ein Schweizer Künstler kann sich so gut in den unterschiedlichsten Dialekten aus wie dieser Mann, der nie als ausgesprochener Schönling glänzen konnte, dafür mit einem besonderen Gespür für feine Nuancen in Mimik und Stimmführung. Auch das humorvolle Fach ist ihm gegeben. Das kam in Uzwil nun zur Sprache. Immer wieder verfiel er beim Erzählen in einen andern Dialekt. Allein schon seine Mimik dabei verführte zu herzhaftem Lachen.

Ein Witz braucht Vorwissen

Hanspeter Müller-Drossaart deckte auf, dass zum Verständnis eines Witzes ein Vorwissen gehört. Man muss die einzelnen Vorurteile über bestimmte Berufsgruppen oder Landesteile kennen, um über einen Witz lachen zu können. So muss man beispielsweise wissen, dass Berner als langsam gelten, Zürcher dafür als grossmäulig, Appenzeller als kleinwüchsig und bauernschlau… Und selbstverständlich macht man sich meistens über die „Anderen“ lustig. Interessanterweise müssen die „Dummen“ in solchen Witzen oft hochdeutsch sprechen… Und eine fremdsprachige Kultur versteht man erst dann richtig, wenn man auch deren Witze versteht.

Diktatoren fürchten nichts so sehr wie Witze, die deren „Grossartigkeit“ nicht anerkennen. Viele Witze handeln auch von Nationalitäten. Meist sind es drei verschiedene Staatsangehörige, die gemeinsam etwas ausdiskutieren. Vielfach heisst es da dann als Schlussbemerkung: „Ja, bei uns ist es eben von Kanton zu Kanton verschieden!“ Das kann sogar eine Pointe im Hinblick auf Aufklärung und Kindersegen sein… Allerdings fanden die beiden Herren am Rednertisch, dass die Schweiz sich für politische Witze eher weniger eigne, da hier alles austariert sei, seinen behäbigen Gang gehe. Und doch gibt es auch hierzulande Witze, gerade auch über Bundesräte, man denke nur an Rudolf Gnägi oder auch Adolf Ogi. Da gibt es ganze Witzesammlungen.

Witze macht man über fast alles

Es gibt Witze über Lehrer, Alkoholiker, alte Menschen, dumme Leute, keifende Weibsleute, aber auch über Pfarrer, Professoren, Politiker, Beamte, Männer, Frauen oder Tiere. Es gibt zudem verschiedene Witze-Schubladen, auch solche weit unter der Gürtellinie. Witze sind eben ein Abbild der Gesellschaft. Wie gern macht man sich doch über faule Beamte, über dumme Politiker, über Alkoholisierte lustig. Dabei kann man von den eigenen Sorgen und Schwächen ablenken, sich etwas aus dem Alltag ausklinken. Dazu eignen sich natürlich auch die unzähligen Ehewitze. Da hat beispielsweise ein Pärchen eine Abmachung getroffen. Immer, wenn sie sich einer ärgert, geht er – oder sie – ins „Cholderibett“ in einer separaten Kammer. Einmal macht der Mann seine Frau so zornig, dass sie gleich an zwei Tagen nicht mehr im Ehebett schlafen mag. Am dritten Tag kommt der Mann in diese Kammer, sagt zur Frau: „Rutsch rüber, ich bin jetzt auch hässig.“ Da kommen sogar versöhnliche Töne auf.

Einsatz von Dialekt und Hochsprache

Ein Mann, der schwäbelt oder Allgäuer Dialekt spricht – in der Schweiz wird das vor allem den Bündnern zugeschrieben – , kann unmöglich ein Unhold oder ein Verbrecher sein. Darum müssen in Kriminalfilmen die fiesen Typen unbedingt hochdeutsch sprechen. Denen – die Bayern sagen dazu „Preussen“ – traut man so eine Untat eben sofort zu, nicht aber einem Schwaben oder Bayern. Auch in der Schweiz kommt diese Tatsache zum Tragen. Wenn ein Bündner etwas von „Lambada“ erzählt, kann es sein, dass er „ ein Lamm bada“ meint, also ein Lamm baden. In andern Dialekten würde diese Schlussfolgerung allerdings überhaupt nicht funktionieren.

Der jüdische Witz

Der jüdische Witz hat seinen ganz besonderen Charme. Da wird oft die eigene Gesellschaft auf die Schippe genommen. Es werden Klischees übernommen, überhöht und damit der Lächerlichkeit preisgegeben. So erzählte einer der Herren von einem Rabbi, der seine Söhne ans Sterbebett zitierte. Als schliesslich alle drei da standen, gab es nur die eine Frage des Sterbenden: „Na, und wer ist jetzt im Geschäft?“ Da wird das Klischee vom geschäftstüchtigen Juden aufs Korn genommen. Oder ein Mann kommt ganz ausser sich zu Gott. „Stell dir vor, so schlimm, mein Sohn wurde Christ!“ „Meiner auch!“ „Und was hast du gemacht?“ „Ein neues Testament geschrieben!“

Juden wurden in ganz vielen Ländern die meisten Berufe verboten. Weil man Geld als schmutzig ansah, war dieser Zweig dafür gerade gut genug für diese Menschen. Als sie sich mit der Zeit auf diesem Gebiet auszeichneten, ja oft sogar wohlhabend wurden, Banken gründeten und sich vieles leisten konnten, kam der Neid der Mitbürger auf. Man grenzte sie erneut aus. Das gipfelte schliesslich in der schlimmen Zeit des Holocaust während des Zweiten Weltkrieges. Thomas Meyer oder auch Charles Lewinsky, selber jüdischen Glaubens, kennen sich in diesem Umfeld sehr gut aus. Nicht umsonst waren das Buch „Wolkenbruchs Reise in die Arme einer Schickse“ und der daraus entstandene Film Wolkenbruch ein Publikumsrenner. Hier wird vieles ins Absurde erhöht, ohne dass der Wahrheitsgehalt völlig untergeht.

Angeregtes Gespräch

Aerni und Müller-Drossaart unterhielten sich scheinbar absichtslos über Wert und Wirkung von Witzen. Sie warfen sich gegenseitig Stichworte zu. So beschrieb Urs Heinz Aerni den Schauspieler als „Humorologen“, während er selber ein Ornithologe sei. Um dies zu untermauern, skizzierte er gleich darauf eine spannende Szene aus dem Tierreich. Er stellte den Kampfläufer vor, einen Vogel, der sich grosse Mühe gebe, das von ihm begehrte Weibchen zu beeindrucken. Kampfläufer Während sich die Alphatiere also Balzkämpfe liefern, machten sich die B- und C-Männchen hinter die Weibchen und begatteten diese…

Ein guter Witze-Erzähler braucht Stimme, Hände, Mimik und etwas schauspielerisches Talent…

Wann Witze erzählen?

Es braucht die passende Umgebung und eine gespannte Zuhörerschaft, bis das Witze-Erzählen funktioniert. Das kann an einem Abendessen in gemütlicher Runde sein, wenn das Gespräch langsam versiegt. Da muss nur jemand sagen: „Kennst du den?“ Und schon geht es los. Der Witz muss aber auch in die Gesellschaft passen, in Thema und Sprache. Derbe Witze kommen nicht überall gut an.

Ein paar Müsterli aus dem Fundus der beiden Männer

In Gurtnellen stehen zwei ältere Damen während einer Trauerfeier am Grab eines Jahrgängers. Eine fragt die andere: „Wie alt sind wir jetzt?“ „93!“ „Kleine Frage: Lohnt sich da das Heimgehen überhaupt noch?“

Der kürzeste Witz: „Treffen sich zwei Jäger:“

Schauspielerwitze

In einer Bar steht: „Da, wo früher meine Leber war, ist heute eine Minibar.“

Eine ältere Dame wird von einem Polizisten angesprochen. „Soll ich Ihnen über die Strasse helfen?“ „Gerne!“ „Dann warten wir, bis es grün wird.“ „Ach, dann kann ich das auch selber!“

Witzesammlung

Viel zu schnell war die vergnügliche Stunde zu Ende. Man hätte noch lange zuhören mögen, was es über das Fach „Witze erzählen“ so zu sagen gibt. Doch das Bibliotheks-Team lud zum Apéro ein, da gab es noch Gelegenheit, mit den beiden Herren ins Gespräch zu kommen, was rege benützt wurde.

Aufmerksam hört Hanspeter Müller-Drossaart dem Witz einer Frau aus dem Publikum zu.

Fussball ist auch Kultur!